Ich bin gerne im Kleinwalsertal. Mindestens einmal im Jahr zum Skifahren mit der Familie. Und wenn es sich ergibt, gerne auch öfter. Bei besagter Familie muss ich allerdings in punkto Wanderurlaub in den Bergen weiterhin viel Überzeugungsarbeit leisten.

Wenig Überzeugungsarbeit leisten musste dagegen Dietmar, als er mir von einer Tour erzählte, die er und Jürgen planten. Gut, man könnte auch sagen, ich hätte mich da rein gequatscht. Aber das tut jetzt hier nichts zur Sache! Eigentlich wollten Dietmar und Jürgen die Tour schon im Vorjahr angehen, haben diese dann aber aufgrund schlechter Wetterverhältnisse in eine andere Gegend verlegt (und sind dort furchtbar nass geworden).

Zurück zum Kleinwalsertal. Der Plan war einer von der Sorte „Bekloppte Leute aus NRW blasen die Autobahn runter, steigen auf die Hütte, kraxeln auf die Berge und fahren Sonntag wieder zurück. Und das alles in der Hoffnung keine Kopfschmerzen zu bekommen und sich Trittsicherheit schnell einstellt.“ Freitag früh sollte es in Ratingen bei Düsseldorf los gehen, so dass wir am späten Nachmittag noch zur Fiderepasshütte aufsteigen können. Am nächsten Tag stand der Mindelheimer Klettersteig auf dem Programm und anschliessend sollte es zur Widdersteinhütte weiter gehen. Sonntag dann der Widderstein, zurück zum Auto und ab nach Hause.

Soweit der Plan.

Fluchtalpe - Im Hintergrund die Schafalpenköpfe

Fluchtalpe – Im Hintergrund die Schafalpenköpfe

Kurz vor der Abreise checkt Dietmar noch einmal die Hüttenreservierungen und erfährt, dass die Mail an die Widdersteinhütte im digitalen Nirvana verschollen ist. Und ausserdem sei die Hütte voll. Nun war guter Rat teuer – absteigen und im Tal pennen oder auf Restkontingente der DAV-Hütten hoffen? Wir wollten es vor Ort entscheiden.

Die Wettervorhersage sah ganz gut aus. Gegen Nachmittag am Freitag Gewitter, Samstag und Sonntag nur gegen Abend Regen oder Gewitter. Damit konnten wir leben.

Die Fahrt in Richtung Berge verlief erstaunlich gut, kein großer Stau, keine quengelnden Mitreisenden, dafür ein großes „Ohhh“ und „Ahhh“ beim Blick auf die Alpen beim Allgäuer Tor.

Das Auto parkten wir beim Bergheim Moser, wo wir auch erst einmal einkehrten und lokale Köstlichkeiten nebst einem leckeren Weissbier genossen. Nebenbei warteten wir noch das Unwetter ab und schauten ein wenig mitleidig auf die pitschnassen Wanderer, die vorbeikamen. Als die Sonne wieder hervorkam, machten auch wir uns auf den Weg.

Meine Güte, ein paar Monate zuvor bin ich hier noch mit Schneeschuhen durch tiefen Schnee gestapft. Zumindest bis zur Fluchtalpe. Diesmal windet sich von hier aus der Pfad in kleinen Schlenkern durch einen Schatten spendenden Wald weiter bergan. Aber schwierig ist der Weg nicht und so stehen wir bald an der Fiderepasshütte. Hier hatten wir reserviert, liessen uns das Bier und später das Abendessen schmecken und verschwanden irgendwann im Hüttenschlafsack.

Die Fiderepasshütte

Die Fiderepasshütte

Der Mindelheimer Klettersteig

Am nächsten Morgen haben wir keine Hektik verbreitet, gemütlich gefrühstückt und sind dann den anderen in Richtung Mindelheimer Klettersteig hinterher gestapft. Den Mindelheimer kenne ich schon von früher, wusste also dass er im Grunde eher einfach zu begehen ist. Bei meiner ersten Begehung war es nur deutlich einsamer.

Bei bestem T-Shirt-Wetter kraxeln wir über die Schafalpenköpfe und genießen immer wieder den tollen Ausblick hinunter ins Kleinwalsertal.

Zwischendurch gab es kurz Verwirrung. Wir hatten versprochen, an der Gedenkplakette einer dort verunglückten Freundin einen kleinen Kranz anzubringen. Robert hatte ihn uns mitgegeben und meinte noch, die Stelle wäre zwischen dem ersten und zweiten Schafalpenkopf. Wir suchten eine Weile vergeblich an der Stelle, die wir für richtig hielten, konnten aber keine Plakette finden. Nach Rücksprache mit Robert und dem Übersenden eines Fotos war klar, dass wir nicht an der richtigen Stelle waren. Später stellte sich heraus, dass die Schafalpenköpfe von Süden her durchnummeriert sind, wir aber von Norden kamen. Auf unserer Karte war nur vom Nördlichen und Südlichen Schafalpenkopf die Rede. Kurze Zeit später hatten wir die Plakette gefunden und den Kranz angebracht.

Kletterer auf dem ersten Schafalpenkopf

Kletterer auf dem ersten Schafalpenkopf

Trotz des Betriebes auf dem Steig hatten sich alle Gruppen irgendwann so eingefädelt, dass jeder sein Tempo gehen konnte. Natürlich musste hier und da mal gewartet werden, aber auch zum Überholen gibt es ausreichend Stellen auf dem Mindelheimer, so dass keine waghalsigen Aktionen durchgezogen werden müssen.

Am Ausstieg aus dem Klettersteig graste eine kleine Gruppe Steinböcke in einer Senke und zog natürlich die Blicke auf sich. Bis jemand meinte, ich solle doch mal meinen Blick nach rechts in die Felswand lenken. Dort lag in einer Felsnische etwa auf Kopfhöhe Steinbock-Chef und hatte von oben seine Herde im Blick. Was für ein stattliches Tier! So nah war ich noch nie einem Steinbock mit derart imposanten Hörnern gekommen. Die anderen Gruppen, die vor uns aus dem Klettersteig kamen und etwas weiter entfernt Pause machten, hatten das Tier übersehen und dachten, wir machen Witze, als wir ihnen vom Steinbock erzählten, an dem sie in zwei Metern Entfernung vorbei gelatscht sind.

Der Steinbock versuchte sich zu verstecken

Der Steinbock versuchte sich zu verstecken

Von weitem schon kann man die Mindelheimer Hütte sehen – unser nächstes Etappenziel. Auf dem Weg dorthin nehmen wir noch kurz das Kemptner Köpfle mit, quasi als „Zwischen-Gipfel“. An der Hütte angekommen, nehmen wir auf der Terrasse Platz und geniessen ein großes Radler. Es ist erst gegen Mittag, wir waren auf dem Klettersteig fix unterwegs. Dietmar fragt nach einem Schlafplatz für uns und zack, stehen wir auf der Warteliste ganz oben. Nach dem Essen und beim zweiten oder dritten Radler bekommen wir unseren „Übernachtung-Deckel“ und dürfen bleiben.

Doch was tun mit dem angebrochenen Tag? Dietmar – er kennt sich in der Gegend recht gut aus – schlägt das Geisshorn als Ziel vor. Gesagt, getan. Wir lassen die Rucksäcke auf der Hütte und machen uns mit kleinem Gepäck auf den Weg. Ich würde ja nie in der Öffentlichkeit peinliche Dinge breit schlagen, aber da wir hier ja unter uns sind, kann ich es ja sagen. Ich war zu dämlich, Karte und Gegend in Übereinstimmung zu bringen und wunderte mich irgendwann, dass der Weg, den wir gingen nicht zu meinem Plan im Kopf passte. Als die Erkenntnis irgendwann reifte und die Berge wieder in der richtigen Reihenfolge vor mir lagen, erschloss sich mir dann auch der Weg auf das Geisshorn.

Und dieser Weg ist ziemlich einfach, im Grunde latscht man nur einen problemlosen Pfad entlang, der beim Gipfelaufschwung halt steiler wird. Dafür ist die Aussicht vom Geisshorn sehr schön. Man hat einen tollen Blick auf die Allgäuer Bergwelt, kann zurück bis zur Mindelheimer Hütte schauen, sieht in der Ferne den Hohen Ifen und das Walmendinger Horn davor und natürlich wie auf dem Präsentierteller den Widderstein – unser Ziel für morgen.

Blick vom Geisshorn in Richtung Mindelheimer Hütte

Blick vom Geisshorn in Richtung Mindelheimer Hütte

In der Ferne zogen langsam dunkle Wolken auf und daher begaben wir uns bald auf den Rückweg. Leider erwischten sie uns doch und wir wurden kurz vor der Hütte noch naß. Dieser Regen sorgte auch dafür, dass die Hütten-Gäste sich von der Terrasse ins Innere begaben und es dort alsbald erst voll und dann auch noch recht laut wurde. Die Mindelheimer Hütte liegt nun einmal strategisch günstig an mehreren Wanderrouten, so dass sie allgemein gut frequentiert wird. Dass dann aber auch Junggesellenabschiede dort gefeiert werden trägt seinen Teil zum Lärmpegel bei. Nun ja, eines meiner wichtigsten Ausrüstungsgegenstände bei Bergtouren sind mittlerweile die Ohrstöpsel, so dass ich trotz allem leidlich gut geschlafen habe.

Auf zum Widderstein

Am nächsten Morgen regnet es. So viel zur Wettervorhersage. Beim Frühstück besprechen wir unsere Optionen. Wir könnten ein Stück zurück gehen und über die Kemptner Scharte zurück ins Wildental absteigen. Oder aber wir pflegen eine Mischung aus Ignoranz und Optimismus und gehen weiter in Richtung Widderstein. So können wir wenigstens unsere Zeit in den Bergen ausdehnen und über das Gemstelbachtal absteigen oder – falls das Wetter besser wird – doch noch auf den Widderstein.

Wir entscheiden uns für die große Runde und stapfen los. Den ersten Teil des Weges kennen wir bereits vom Vortag, so kann jeder seinen Gedanken nachhängen, während der Regen auf die Kapuzen tropft. Hinter dem Geisshorn führt der Weg über einen wunderschönen Höhenrücken, durch grüne Wiesen, kleine Senken. Das tollste jedoch ist, dass der Regen aufgehört hat und die Sonne sich blicken lässt. Ausserdem lassen die Wolken vom Widderstein ab und geben den Blick auf seinen Gipfel frei. Es sieht so aus, als hätten wir die richtige Strategie gewählt.

Der Widderstein zeigt sich

Der Widderstein zeigt sich

An der Widdersteinhütte gönnen wir uns ein Getränk und wundern uns ein wenig, dass es hier absolut ruhig ist. War die Hütte wirklich voll in der vergangenen Nacht? Egal, es würde sowieso nichts ändern.

Nachdem das Wetter sich zu unserem Gunsten gebessert hat, beschliessen wir, den Widderstein doch in Angriff zu nehmen. Die Rucksäcke lassen wir an der Hütte stehen und nehmen nur das Nötigste mit. Wir diskutieren kurz, ob die Helme zum Nötigsten gehören, lassen diese dann aber doch im Rucksack, da wir davon ausgehen, dass wenige Wanderer unterwegs sind und sich die Steinschlaggefahr in Grenzen hält. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.

Der Weg führt zunächst unten am Berg entlang, bis man sich rechts haltend in Richtung der Rinne hocharbeitet, in der der Normalaufstieg auf den Berg führt. Kurz unterhalb der Rinne hören wir das Geknatter eines Hubschraubers. Noch denken wir uns nichts dabei, ist doch der Anblick von Helikoptern etwas normales in den Bergen. Erst als er zum zweiten Mal die Rinne anfliegt, ahnen wir, dass das Interesse dem Widderstein gilt. Dann kommt der Heli näher und setzt keine 20 Meter über unseren Köpfen auf einem Sporn den Notarzt ab. Es muss wohl doch etwas passiert sein.

Heli am Widderstein

Heli am Widderstein

Wir steigen weiter auf und erreichen bald den Beginn der Rinne. Hier zeigt sich, dass unsere Hoffnungen, hier hätte sich ein Wanderer lediglich das Knie verdreht, sich nicht erfüllen. Ein Mann ist durch einen Steinschlag schwer am Kopf verletzt worden und der Notarzt hat gerade die Versorgung übernommen. Wir werden gebeten, uns um die Begleiterin des Mannes zu kümmern und Jürgen geht dem Notarzt zur Hand. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird der Hubschrauber wieder angefordert, setzt am langen Tau weitere Helfer ab und fliegt den Verletzten schliesslich aus. Ich hoffe inständig, die Geschichte ist glimpflich für den Mann ausgegangen.

Kurz diskutieren wir, ob wir weiter aufsteigen, doch die Lust auf den Widderstein ist uns vergangen und wir steigen ab. Jeder ist in seinen Gedanken versunken, während wir zurück zur Hütte laufen und dort angekommen, sprechen wir aus, was jeder denkt – wie dämlich von uns, die Helme nicht mitzunehmen! Vor allem, da wir sie vorrangig mitgenommen hatten, da gerade der Widderstein für seine Steinschläge bekannt ist. Das wird uns garantiert eine Lehre sein!

Schliesslich steigen wir über das Gemsteltal wieder ab ins Kleinwalsertal, laufen an der Breitach entlang in Richtung Wildental und werden kurz vor dem Parkplatz tatsächlich noch einmal pitschnass.

Abstieg durch das Gemsteltal

Abstieg durch das Gemsteltal

Hach ja, was soll ich schreiben? Trotz des unerfreulichen Endes war es wieder eine tolle Tour im Kleinwalsertal. Der Widderstein bleibt auf der To-Do Liste und wenn er in Angriff genommen wird, garantiert mit Helm!

Vielen Dank an Jürgen und Dietmar für das Wochenende und die kurzweilige Gesellschaft!

[sgpx gpx=“/wp-content/uploads/gpx/Widderstein.gpx“]