Jedes Mal, wenn in der Vergangenheit mein Blick auf die Zugspitze fiel, wurde er danach magisch vom Jubiläumsgrat angezogen, jener wunderbaren und luftigen Verbindungslinie zwischen Deutschlands höchstem Berg und der Alpspitze. Bereits vom Tal hat man einen guten Blick auf seinen zackigen Verlauf zwischen den beiden markanten Gipfeln. Noch vor vier Jahren warf ich beim Ausstieg aus dem Höllental Klettersteig einen wehmütigen Blick auf die Hinweistafel zum Jubiläumsgrat und dachte mir, „Irgendwann hast Du den auch im Tourenbuch stehen.“

Der Jubiläumsgrat

Der Jubiläumsgrat

Um ganz korrekt zu bleiben, sollte ich erwähnen, dass der Jubiläumsgrat von der Zugspitze zum Hochblassen führt. Um diesen führt der Weg nordwestlich vorbei zur Grieskarscharte und man hat die Wahl zwischen dem Abstieg zur Höllentalangerhütte oder der Bergstation der Alpspitzbahn. Wer mag, kraxelt noch auf den Gipfel der Alpspitze und von dort zur Bergbahn hinunter. Der Jubigrat kann in beide Richtungen begangen werden, wobei die meisten wohl von der Zugspitze zur Alpspitze gehen.

Und so ganz allein ist man auf dem Grat wohl auch eher selten, handelt es sich doch um einen bekannten und oft begangenen Klassiker der Ostalpen.

Nun hatten wir Sommer 2015 und unser Familienurlaub führte uns wieder für ein paar Tage an den Fuß der Zugspitze. Nach elend heissen Tagen hatte es sich mittlerweile abgekühlt und das Wetter war allgemein etwas unbeständiger geworden. Die Wettervorhersage sprach dafür, die geplante Tour einen Tag vorzuziehen.

Im Morgengrauen klingelt der Wecker im Zelt und ich schleiche mich raus. Es ist gar nicht so einfach, das Klappern von Frühstücksutensilien zu vermeiden, wenn rundherum noch friedliche Stille herrscht. Der prüfende Blick zum Himmel verrät, dass der Grat von leichten Wolken umspielt wird. Nach Müsli und Kaffee bringt mich die Gemahlin zum Seilbahn. Kurz vor 8:00 Uhr morgens stehe ich an der Eibseebahn, um mich von der ersten Gondel nach oben bringen zu lassen. Neben mir fahren vier weitere Kletterer und einige Angestellte der Einrichtungen auf den Berg.

Blick auf den Grat vom Zeltplatz aus gesehen

Blick auf den Grat vom Zeltplatz aus gesehen

Deutlich sind die Spuren der Bauarbeiten der neuen Eibseebahn zu sehen. Und auch am Gipfel sind die Arbeiten in vollem Gange. Deutschlands höchste Baustelle sieht schon spektakulär aus. Aber auch mit dem Kranaufbau kommt man hier nicht auf die 3000 Meter.

Bevor ich mich auf den Weg begebe, geniesse ich noch ein wenig die leere Plattform und die Aussicht. Die anderen zwei 2-er Teams machen sich vor mir auf den Weg. Allzu lange mag ich jedoch auch nicht warten, denn das Ziel ist, zumindest die letzte Bahn an der Alpspitze zu erreichen und mit dieser ins Tal zu fahren. Der Jubiläumsgrat ist lang und anstrengend, gilt es doch gut 8 km auf dem teilweise sehr ausgesetzten Grat zu kraxeln. Zudem gibt es keine Möglichkeit für einen Rückzug, ausser ungefähr in der Mitte des Grates zur Knorrhütte herunter.

Von Deutschlands höchstem Biergarten geht es über einen kurzen Steig zum eigentlich Gipfel der Zugspitze herüber. Zu dieser Zeit ist natürlich noch niemand hier und ich hatte das Gipfelkreuz für mich allein. Endlich kam das oben angesprochene Schild in Sicht – das Abenteuer Jubiläumsgrat konnte beginnen.

Apropos Grat, es sollte sich zeigen, dass der Fluch, der auf mir lastet, auch an diesem Tag Bestand haben würde – René auf einem Grat bedeutet in der Regel schlechte Sicht.

Der Grat liegt vor mir

Der Grat liegt vor mir

Der erste Teil des Grates wartet mit Kletterpassagen bis in den unteren dritten Schwierigkeitsgrad auf und ist nur an einigen wenigen Stellen mit Drahtseilen und Tritten entschärft. Wer hier einen Klettersteig erwartet, ist fehl am Platz!

Nach einigen Metern kommt mir drei Kletterer entgegen und ich frage mich, wie um alles in der Welt, die so früh aus der Richtung bereits hier sein können. Einer von ihnen klettert die steilere Passage jedoch extrem unsicher ab, so dass sie wahrscheinlich umgekehrt sind. Angesichts der zu erwartenden Schwierigkeiten sicherlich die einzig richtige Entscheidung. Später treffe ich noch zwei Kumpel der drei Kletterer und diese bestätigen mir die Umkehr.

In stetem Auf und Ab führt der Weg in Richtung Höllentalspitzen und wenn die Wolken ein wenig aufreissen, hat man sogar einen tollen Blick zurück zur Zugspitze.

Blick zurück zur Zugspitze

Blick zurück zur Zugspitze

Die Kletterstellen sind alle fair und in dem erwarteten Schwierigkeitsbereich. Einige Stellen sind ein wenig knackiger, besonders die glatteren Passagen, die abgeklettert werden wollen, erfordern volle Konzentration, besonders, wenn man allein unterwegs ist.

Zu meiner Überraschung sind dann doch eher wenig Leute auf dem Jubigrat unterwegs. Wenn ich richtig mitgezählt habe, waren ausser uns 5 Kletterern, die mit der ersten Bahn hochgefahren sind, jene 5 auf dem Grat, von denen drei umgekehrt sind. Diese fünf hatten im Münchener Haus übernachtet und wollten zur Knorrhütte absteigen und sich dort wieder treffen. Und dann war da noch ein junges Pärchen, die ebenfalls im Münchener Haus genächtigt hatten.

René auf dem Grat bedeutet miese Sicht ins Tal

René auf dem Grat bedeutet miese Sicht ins Tal

Die Höllentalspitzen bilden mit ihren drei Gipfeln markante Erhebungen auf dem Grat und sind leicht versichert. Hier werden wieder ein paar Höhenmeter auf- und wieder abgebaut. Kurz vor der Äußeren Höllentalspitze steht die Biwakschachtel, wo ich eine kurze Pause einlege. Die Biwakschachtel scheint mir recht gemütlich zu sein im Vergleich zu anderen, die ich bisher gesehen habe.

Nach dem Abstieg von den Höllentalspitzen wartet noch ein knackiger Abschnitt auf den Jubigrat-Begeher – die Vollkarspitze. Über diese geht es einmal quer drüber. Allerdings ist der Aufschwung sehr gut gesichert und erinnert an dieser Stelle ausnahmsweise tatsächlich an einen Klettersteig. Deutlich sieht man die Stellen, wo Anfang diesen Jahrtausends ein Bergsturz Teile der früheren Wegführung weggerissen hat.

Die Vollkarspitze

Die Vollkarspitze

An dieser Stelle warte ich vor einem Pfeiler darauf, dass zwei Kletterer die steile Passage überwinden, bevor ich selbst die Vollkarspitze erklimme. Plötzlich rutscht mir das Herz in die Hose, als ich einen Rucksack rechts den Berg hinunterfliegen sehe. Mit dumpfem Geräusch schlägt er 50 bis 60 Meter tiefer auf dem Geröll auf. Weiter ist nichts zu hören. Ich frage die beiden anderen, ob sie etwas erkennen können und sie berichten von einem Kletterer, der in ihrem Sichtbereich herumkraxelt. Von dem Absturz des Rucksacks hatten sie nichts mitbekommen. Während ich um den Pfeiler herumgehe, steigt der Kletterer wohl zu seinem Rucksack ab. Aus der Ferne frage ich ihn, ob alles in Ordnung sei. Mit einem Daumen nach oben signalisiert er mir dies und fährt offensichtlich fort, seine Ausrüstung auf Schäden zu überprüfen.

Bald danach erreicht man den Hochblassen, der auf der Nordseite in Richtung Grieskarscharte umgangen wird. Von hier zieht sich ein einfach zu findender Pfad in Richtung Alpspitze. Am Gipfelkreuz kann ich mir ein Dauergrinsen nicht verkneifen – ich habe den Jubiläumsgrat begangen! Nach den üblichen Fotos schwatze ich noch ein wenig mit den anderen Kletterern, die grösstenteils über die Alpspitz-Ferrata hier herauf gekommen sind.

Geschafft!

Geschafft!

Diese Alpspitz-Ferrata wird auch mein Rückweg sein in Richtung Bergstation der Alpspitzbahn. Die Sicht ins Tal ist mittlerweile fast gar nicht mehr vorhanden, doch die Seilversicherungen weisen den Weg. Da ich den Jubigrat in den Knochen spüre, beginne ich den Abstieg so, wie man einen Klettersteig begeht und hänge vorschriftsmässig die Karabiner des Klettersteigsets ein. Von oben überholt mich eine ältere Frau, deren einzige Ausrüstung aus Baumarkthandschuhen zu bestehen scheint. Bald ist sie im Nebel verschwunden und ich merke, dass das ständige Umhängen der Karabiner enorm viel Zeit beansprucht. Hey, ich bin gerade den Jubigrat gelaufen und eigentlich schon davon überzeugt eine gewisse Trittsicherheit und Schwindelfreiheit zu besitzen. Also verzichte ich auf dem weiteren Weg auf die Sicherung. Und so schwer ist die Alpspitz-Ferrata nun auch nicht.

Mittlerweile ist die Suppe immer dicker geworden und man hat kein Gefühl, wie weit es noch bis zum Ausstieg aus der Ferrata ist. Einzig Kuhglocken zeugen von der nahenden Zivilisation.

Irgendwann erreiche ich schliesslich die Bergstation und habe das Abenteuer Jubiläumsgrat endgültig bewältigt. Im Bergrestaurant habe ich sogar noch Zeit, das wohlverdiente Radler zu geniessen.

An der Kasse treffe ich die Frau aus dem Klettersteig. Sie schaut ein wenig verwundert zu meinem Klettersteigset und fragt „Bringt der Schmarrn eigentlich was?“

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