Kennt Ihr das? Ihr habt ein Bild im Kopf, welches Euch fasziniert hat oder einen Ort, den man unbedingt einmal besuchen möchte. Und ihr wisst, dass viele andere diese Bilder auch gesehen haben, weil sie in den verschieden Kanälen hoch und runter geteilt werden und in jedem Reiseführer als „must see“ beschrieben werden. Du weisst, Du wirst nicht der Einzige sein an diesem Ort und dennoch machst Du Dich auf den Weg, denn da ist ja dieses Bild in Deinem Kopf.

Großartiges Norwegen

Großartiges Norwegen

In diesem Jahr verschlug es uns im Urlaub nach Norwegen. Wie immer mit Zelt und nur einer vagen Idee einer Route. Nun heisst Familienurlaub meist auch Kompromisse eingehen und die richtige Balance zwischen den verschiedenen Interessen finden. Für mich bedeutet das, für die etwas knackigeren Wanderungen, einen freien Tag zu verhandeln. So geschehen für die Wanderung zur Trolltunga.

Für Norwegen hatte ich drei der sogenannten Klassiker im Kopf. Den Preikestolen, den Kjerag Bolten und eben die Trolltunga. Ja, ich weiss. Genau hier toben sie alle hoch. Wie war das doch gleich mit den Bildern im Kopf? Auf dem Preikestolen waren wir mit der Familie. Fürchterlich. Ich werde berichten. Den Kjerag Bolten habe ich zugunsten des Familienfriedens ausgelassen. Zu zeitintensiv war die Anfahrt. Dann also die Trolltunga!

Trolltunga? Trollzunge auf deutsch. Dabei handelt es sich um einen markanten Felsvorsprung hoch über dem künstlichen See Ringedalsvatnet in der Nähe von Odda am Sørfjord. Die Wanderung ist nicht ganz einfach, 14 Kilometer hin, mehr als 1000 Höhenmeter und 14 Kilometer wieder zurück. Circa 8 bis 10 Stunden sollte man für die Tour einplanen.

Ich war also vorgewarnt. In jeder Hinsicht. Die Wettervorhersage sagte nach regnerischer Zeit mal wieder einen schöneren Tag vorher. Das wussten wahrscheinlich auch andere. Zudem hatten mir zwei Jungs am Vortag auf dem Campingplatz erzählt, dass die Wanderung elendig lang wäre und man an der Trolltunga für die berühmten Fotos bis zu zwei Stunden anstehen würde. Na super.

Egal. Ich hatte dieses Bild im Kopf und wollte die Trolltunga sehen.

Was für eine Landschaft!

Was für eine Landschaft!

Morgens um sechs klingelt der Wecker. Ich pelle mich aus dem Schlafsack und versuche, mir ein Frühstück zuzubereiten, ohne mit dem Geklapper den halben Zeltplatz zu wecken. Wer schon einmal versucht hat, lautlos mit einem Trangia zu hantieren, weiss, wovon ich rede. Doch irgendwie gelingt es mir, halbwegs lautlos vom Campingplatz zu verschwinden.

Auf dem Weg zum Parkplatz regnete es noch leicht und ab und an passiere ich Orte an der Strasse, an denen andere Reisende übernachten, die das Jedermannsrecht auf Teufel komm raus nutzen. Aus manchen dieser Übernachtungsplätze spricht die pure Verzweiflung, völlig übermüdet, bei Scheisswetter einen Platz zum Schlafen finden zu müssen.

Bei Odda biegt man in Richtung des Trolltunga Parkplatzes ab und passiert wenig später einen Ausweichparkplatz, wo bereits einige Wagen standen. Oh Gott, dachte ich, nicht, dass der Parkplatz oben schon voll ist. Und ja, er ist voll, wie ich kurze Zeit später feststelle, allerdings gibt es ein Stück weiter noch ein paar Plätze. Und diese Plätze kosten sage und schreibe 300 Kronen (gut 30€) Parkgebühren am Tag. Ohne Autowäsche!

Der Weg zur Trolltunga hat sich in den letzten Jahren geändert. Früher fuhr mal eine Seilbahn auf das Plateau und in vergangenen Jahren musste die Trasse dieser Bahn in der Direttissima bezwungen werden. Seit 2014 gibt es eine mordslangweilige Serpentinen-Schotterbahn auf das Plateau, die sich über vier Kilometer hinzieht. Wer sich diesen Abschnitt sparen möchte, kann für 500 Kronen auf dem exklusiven Parkplatz oben parken.

Kommt man allerdings auf das Hochplateau beginnt der schöne Teil der Wanderung. Eine grandiose Aussicht, spärlicher Bewuchs und total genial gelegene Hütten sorgen für allerhand Abwechslung. Zudem ist der Weg tadellos markiert und hier oben eher einfach zu begehen. An einigen Stellen kann man sehen, dass der Ausbau weiter voran getrieben wird, indem zum Beispiel Brücken über kleinere Bäche gebaut werden.

Erwähnte ich eigentlich mal, dass ich angegebene Zeiten bei Wanderungen gerne als Herausforderung ansehe? Die besagten 8 bis 10 Stunden sollten doch zu knacken sein und ein sportlicher Aufstieg hätte zudem den Vorteil, dass jeder, den ich überhole, am berühmten Fotopunkt hinter mir anstehen würde. Da ich auf niemanden Rücksicht nehmen musste, konnte ich also Gas geben.

Wie gesagt, die Schotter-Serpentinen sind nicht gerade eine Ausgeburt an wandertechnischer Abwechslung, aber immerhin baut man hier über vier Kilometer die ersten 400 Höhenmeter auf. Auf besagtem Plateau kann man dann kurz verschnaufen, bevor es beim nächsten Aufschwung gilt, die nächsten 300 Höhenmeter in Angriff zu nehmen. Wie gesagt, der Weg hier oben ist sehr abwechslungsreich. Breite Wege, schmale Pfade. Aus Steinen geformte Treppen, schräge Rampen. Nach den Regenfällen der letzten Tage ist der Weg zudem nass, matschig und eben auch rutschig. Gerade bei etwas schnellerer Gangart muss man höllisch aufpassen, nicht auszurutschen.

Es sind jede Menge Leute unterwegs. Die meisten im Aufstieg, so wie ich. Doch einige kommen mir auch mit voller Ausrüstung entgegen, schleppen Zelt und Schlafsack wieder ins Tal. Insgeheim beneide ich sie, denn eigentlich sollte man die Wanderung genauso durchführen. Mit Geraffel hoch, oben übernachten und sowohl Sonnenauf- und Untergang geniessen, um schliesslich gegen den Strom wieder runter zu laufen.

Die Orientierung ist sehr einfach. Rote Markierungen zeigen den Weg und regelmässig verkünden Schilder, wieviele Kilometer es noch bis zur Trolltunga bzw. zum Parkplatz sind. Gerade bei gutem Wetter und den vielen Leuten, die dann unterwegs sind, muss man sich schon anstrengen, um sich zu verlaufen. Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, dass bei einem Wetterumschwung mit schlechter Sicht die Situation dort oben schnell prekär werden kann. Davon zeugen nicht zuletzt die beiden Schutzhütten, in die man sich in einem solchen Fall zurückziehen kann. Doch auch bei gutem Wetter sollte man die schiere Länge der Tour nicht unterschätzen.

Die Trolltunga

Die Trolltunga

Schliesslich zeigt sie sich endlich – die Trolltunga. Und tatsächlich, da gibt es eine Schlange von Leuten, die für das Foto anstehen. Allerdings erscheint mir die Schlange nicht allzu lang, dennoch überlege ich kurz, ob ich mich wirklich anstellen soll. Doch zu verlockend ist die Aussicht auf besagte Bilder. Bleibt nur noch die Frage, wer zum Henker dieses Foto eigentlich machen soll. Vor mir stehen weitere Wanderer, die sich die gleiche Frage stellen und sich spontan zu einer Gruppe zusammenschliessen. Kurz gefragt und ich bin Teil der Gruppe. Den Rest der Wartezeit vertreiben wir uns mit netten Gesprächen und Überlegungen, welche Posen wir denn beim Shooting zeigen wollen. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an Viktoria von Vannilaicedream.com für die Bilder!

Nach etwa einer halben Stunde sind auch wir dran und turnen auf der Spitze der Trolltunga herum. Pose hier, Pose da und „der nächste bitte“. Danach geniessen wir noch den grandiosen Ausblick auf den Stausee und ich registriere mit Genugtuung, dass die Schlange deutlich größer geworden ist und die ein bis zwei Stunden Wartezeit durchaus realistisch sind.

Warteschlange an der Trolltunga

Warteschlange an der Trolltunga

Bald wurde es Zeit, den Rückweg anzutreten. Im Gegensatz zum vorhergesagten Wetter zogen sich jetzt doch ein paar dunkle Wolken zusammen und schliesslich lagen die 14 Kilometer Rückweg auch noch vor mir. Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen, wie oft ich meine Regen an- und wieder ausgezogen habe. Sonnenschein wechselte sich mit Regenschauern ab, so dass ich irgendwann einfach mit Kapuze und Sonnenbrille gen Parkplatz gelaufen bin.

Sobald man die Schotterpiste erreicht, weiss man, dass es nun nur noch 4 Kilometer bis zum Auto zurückzulegen hat. Unten am Parkplatz lasse ich mir zur Belohnung ein leckeres, aber recht teures Trolltunga-Bier schmecken, welches in einer Brauerei im Nachbardorf gebraut wird.

Das verdiente Trolltunga Bier

Das verdiente Trolltunga Bier

Ein Blick auf die Uhr bestätigt mir, dass ich in der Tat recht sportlich unterwegs gewesen bin. Drei Stunden im Aufstieg und zweieinhalb Stunden im Abstieg. Ich bin zufrieden.


Fazit: Ja, die Wanderung zur Trolltunga ist lohnenswert und die Felsnase bzw. der Ausblick spektakulär. Das wissen allerdings auch viele andere. Wer eine einsame Wanderung erwartet, ist hier sicherlich fehl am Platz. Gelohnt hat es sich für mich dennoch. Ich habe zu den Bildern im Kopf nun auch Fotos von mir auf der Trolltunga auf der Festplatte. Was aber noch wichtiger ist – ich habe einen kleinen Einblick in die großartige Welt der Hardangervidda erhalten und dies hat wiederum neue Bilder im Kopf anstehen lassen. Ich muss wohl noch einmal zurückkommen. Und dann mit mehr Zeit und einem Zelt.