So langsam komme ich mir vor wie ein Opa, der Geschichten aus der Vergangenheit erzählt. Aber ich habe bereits im letzten Jahr beim Outdoor-Advent einen Schwank aus meiner Jugend erzählt und möchte gerne einen weiteren mit Euch teilen. Dies ist mein Beitrag zum diesjährigen Outdoor-Advent 2015.

Outdoor Advent 2015

Outdoor Advent 2015

Ich nehme Euch mit in das Jahr 1989 und muss zugeben, dass der Titel der Geschichte vielleicht ein wenig reisserisch klingt. Es stimmt zwar, dass sie hinter dem eisernen Vorhang spielt, aber ich befand mich halt auch hinter selbigem, bin ich doch in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen.

1989 war ich 16 Jahre alt, bereits lange im Kanuverein und hatte schon etliche Nächte auf Touren im Zelt verbracht. Die Outdoor-Saat war ausgebracht und trieb schon bunte Blüten. Wir hatten die 10-klassige Schule beendet und würden nach dem Sommer jeder unserer Wege gehen. Mit Freund Henry kamen wir auf die Idee, doch eine kleine Abenteuertour zu unternehmen, bei der wir ganz auf uns allein gestellt sein würden.

Im Kanuverein hatten wir zwei Modelle eines GFK Wildwasserbootes bekommen, die ob ihrer Wendigkeit sehr beliebt waren. Nun ja, damals dachten wir, Wildwasserboote würden so aussehen. Der größte Unterschied zu den Einer-Kajaks, die wir sonst so im Verein gefahren sind, waren die höher gezogenen Bug- und Heckpartien der Boote. Eine Schenkelstütze war auch nicht vorhanden. Durch die besonders schlanke Form der Boote war im Inneren entsprechend weniger Platz für Gepäck.

Das Bild stammt nicht von der beschrieben Tour, zeigt mich aber dennoch bei einer der anderen abenteuerlichen Fahrten in Mecklenburg.

Das Bild stammt nicht von der beschrieben Tour, zeigt mich aber dennoch bei einer der anderen abenteuerlichen Fahrten in Mecklenburg.

Zurück zu unserer Tour. Die Idee war, mit jenen wendigen Booten eine mehrtägige Tour in Brandenburg zu unternehmen und dabei – aufgrund des geringen Platzangebotes in den Booten – auf einen großen Teil an Ausrüstung zu verzichten. So fielen als erstes so großvolumige Sachen wie Zelt und Schlafsack der Streichliste zum Opfer. Im Grunde bestand unsere Ausstattung für die Tour aus einer Garnitur Klamotten am Körper und einer weiteren zum Wechseln im Kentersack. Damals sind wir nicht mit Neopren oder Paddeljacken gepaddelt. Da reichte ein Trainingsanzug. Und wenn man reinfiel, hatte man im sogenannten „Kentersack“ eben trockene Wechselsachen dabei. Zum Schlafen hatte jeder von uns lediglich eine der immer noch sehr begehrten NVA-Armeeplanen dabei. Ansonsten kann ich mich an den guten alten Juwel-Benzinkocher und an zwei Dosen Gulasch in der Dose erinnern.

Dort, wo meine Großeltern gewohnt haben, floß ein Bach namens Temnitz. Der sollte unser Ziel sein. Auf einer Karte verfolgten wir den Bachverlauf hoch zur Quelle und schätzten aus der Ferne, an welcher Stelle sich ein Einstieg mit den Booten lohnen würde. Genau dorthin brachte uns freundlicherweise der Vater von Henry.

Als wir dem Zielgebiet näher kamen, reckten wir die Hälse, um aus dem Auto einen Blick in den Bach werfen zu können. (Das ist übrigens ein normales Verhalten bei Paddlern. Also wenn Ihr hinter einem Auto, das erkennbar einem Paddler gehört, herfahrt und neben der Strasse ein Bach fliesst, macht Euch auf spontane Lenk- und Bremsmanöver gefasst!) An einer Stelle entschieden wir „Hier soll es sein!“. Henry’s Vater war noch etwas skeptisch und fragte nach Entladung der Boote mehr als einmal, ob wir uns sicher seien, er würde dann jetzt fahren. Wir waren uns sicher und er fuhr.

Fahrtenbuch Teil 1

Fahrtenbuch Teil 1

Die wenige Ausrüstung war schnell verstaut und wir zogen die Boote zum Bach runter. An dieser Stelle war die Temnitz eher ein Bächchen und nicht mehr als zwei Meter breit. Man konnte kaum das Paddel anständig auf beiden Seiten ins Wasser bringen. Brauchten wir aber auch nicht, denn die Temnitz hatte hier eine ganz flotte Strömung und wir nutzten das Paddel eher als Steuer und liessen uns treiben. Was fehlte, war Wassertiefe. Nach wenigen Metern sassen wir mit den Booten auf und mussten das erste Mal aussteigen und die Boote am Seil hinter uns her ziehen. Dann wiederum gab es Abschnitte, die derart mit Sträuchern zugewachsen waren, dass wir uns im Boot ganz klein gemacht haben und von der Strömung drunter her ziehen lassen haben.

An einer Stelle stand ein Schäfer mit seinem Hund am Ufer und nachdem wir freundlich gegrüßt haben, pampte der Herr uns an und beschuldigte uns, hier illegal mit Elektroschocks zu fischen. Typen gibt es…

Für die erste Nacht suchten wir uns eine Stelle am Rande eines Feldes neben einem Bahndamm aus. Der Plan war, ein kleines Lagerfeuer zu entzünden, ordentlich Glut zu erzeugen und vorm Schlafen gehen, diese Glut auszubreiten, ordentlich mit Erde zu bedecken und darauf zu schlafen. Der Plan war vielleicht ganz gut, nur die Ausführung eher suboptimal. Die spärliche Glut, die wir erzeugten war schnell erkaltet und der erhoffte Effekt blieb aus. Und die Nacht war kalt. Wir zogen uns alles an, was der Klamottensack hergab, wickelten uns in die Plane und froren dennoch erbärmlich. Als sich die Dämmerung zeigte, stellen wir uns auf den Bahndamm, um die ersten Sonnenstrahlen abzufangen und wieder aufzutauen. Dabei sahen wir, dass nachts auf der anderen Seite der Bahnschienen die Wildschweine im Maisfeld hausten.

Die Temnitz war mittlerweile ein schöner Wiesenbach, der mit einiger Strömung durch die Brandenburger Landschaft floss. Vom Charakter her entsprach die Fahrt unserer Vorstellung von Wildwassertour. Wir kamen nach Walsleben, wo meine Großeltern und Tante und Onkel wohnten. Letzterem halfen wir bei der Verladung von Stroh für seine kleine Landwirtschaft und verbrachten die Nacht auf der Gästecouch.

Nach Walsleben wurde die Landschaft deutlich urbaner, wir kamen durch kleine Orte durch und die Temnitz wurde zunehmend verbaut. Doch all die Wehre waren nicht fahrbar, was uns zu mehreren Umtragungen führte. Angesichts der Erfahrungen der ersten Nacht, wollten wir uns für die kommende ein etwas geschützteres Plätzchen aussuchen und dachten an ein verfallenes Haus oder ähnliches.

Kurz vor der Dämmerung sahen wir einen großen Heuschober und sahen uns schon im kuschligen Heu schlafen. Allerdings fing es gleichzeitig an, fies zu regnen und wir suchten nach einer Alternative. Und diese Alternative bestand aus einer Betonbrücke über den Bach. Zwischen Wasseroberfläche und Betondecke war circa ein Meter Platz und es passten gerade einmal unsere zwei Boote nebeneinander unter die Brücke. Wir schoben uns soweit wir möglich vorne ins Boot rein, so dass der Kopf auf dem Süllrand zu liegen kam. Bequem ist anders. Nun schauten nur der Kopf und die Arme aus dem Boot und wir konnten uns unter die Brücke schieben. Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass die Brücke auf der anderen Seite durch eine Staustufe verschlossen war, so dass der einzige Weg raus, der rückwärtige war. Als es Dunkel wurde zauberte Henry einen Kerzenstummel aus dem Boot und stellte es vorne auf. Im flackernden Schein der Kerze sahen wir all die Spinnen und ihre Netze um uns herum. So hingen wir in dieser unmöglichen Position im Boot unter dieser Brücke und hofften, dass der Regen bald aufhören würde. Er tat es nicht. Wir verbrachten die ganze verdammte Nacht unter dieser Brücke. Auf meiner Hitparade der schlimmsten Übernachtungen liegt diese Nacht ganz weit vorne.

Fahrtenbuch Teil 2

Fahrtenbuch Teil 2

Der weitere Weg führte uns zunehmend über endlos gerade und zugewachsene Entwässerungsgräben. Das Prozedere war immer das gleiche. Ein paar hundert Meter durch Entengrütze kämpfen, am Wehr aussteigen und umtragen. Dann wieder Entengrütze. Wie ich dieses Zeug hasste.

An einer Stelle wies Henry auf die vielen Boviste, eine Pilzart, hin. Wir machten uns daran, die teilweise stattlichen Exemplare zu sammeln und zu putzen. Angesichts unserer spärlichen Ausrüstung fehlte uns dann aber doch die Möglichkeit, diese anständig zuzubereiten. Und als rohe Beilage zu unserem Gulasch in der Dose waren sie nur bedingt ein Genuss.

Nach schier endlosen Kilometern auf teils schnurgeraden Abschnitten erreichten wir Wustrau-Altfriesack und damit den Ruppiner See. Hier schlugen wir unser Lager auf einer Wiese am Ufer auf und offensichtlich war die Nacht deutlich milder, denn wir haben eigentlich – nur in die Plane gewickelt – ganz gut geschlafen.

Der folgende Tag sollte der letzte auf unserer Tour werden. Über den Ruppiner See wollten wir nach Neuruppin paddeln und von dort mit der Bahn nach Neubrandenburg zurück. Es sind zwar nur circa neun Kilometer über den See, aber wer mit einem steuerlosen Kajak schon einmal über einen See gepaddelt ist, weiss, wie anstrengend das sein kann. Zudem war wohl auch die Luft aus unserem Abenteuer raus, denn die wilden Strecken lagen hinter uns. Vielleicht wollten wir aber auch gar nicht, dass es nun bereits endet.

In Neuruppin bestand nun die letzte Herausforderung darin, die Boote zum Bahnhof zu bekommen. Wir haben sie schliesslich kurzerhand mitten durch die Stadt getragen. Die Sprüche, die wir uns auf dem Weg anhören konnten, könnt ihr euch sicherlich vorstellen.

Ich habe vor kurzem mein altes Fahrtenbuch aus jener Zeit gefunden und anhand der Aufzeichnungen versucht, unsere Route von damals  zu rekonstruieren.

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Und solange mich niemand eines besseren belehrt, gehe ich davon aus, dass die Tour nichts anderes war als eine Erstbefahrung hinterm eisernen Vorhang.

Folgende Lehren habe ich aus diesem Trip gezogen:

  • Niemals ohne Schlafsack auf Tour!
  • Abenteuer vor der Haustür lohnen sich
  • Wir hatten eine geile Jugend!
  • Ich müsste mal wieder mein Paddel von damals besuchen, denn das hängt immer noch im Bootshaus in Neubrandenburg

So, das war meine Geschichte für das 6. Türchen des Outdoor-Blogger-Adventskalenders 2015. Gestern zeigte uns JayBe eine Oase der Ruhe in Waldbröhl und morgen wird das siebte Türchen auf kulturnatur.de geöffnet. Danke an alle Bloggerkollegen fürs Mitmachen und Sven für die Initiative!