Selten hat mich ein Berg derart fasziniert wie der Watzmann. Ich kann gar nicht genau sagen, warum er mich in seinen Bann gezogen hat. Wahrscheinlich liegt es an der unfassbar schönen Landschaft drumherum und dem Mythos, der den Watzmann umgibt. Im Sommer 2013 absolvierten Dietmar und ich die Überschreitung, während die Begehung der Ostwand ein paar Wochen später wegen schlechtem Wetter abgesagt wurde. Dafür konnte ich noch einmal einen schönen Blick aus dem Flugzeug auf Watzmann und Königssee werfen.

Watzmann aus der Luft

Watzmann aus der Luft

Die Vorbereitung

In diesem Jahr stand nun ein neuer Anlauf für die Ostwand auf dem Programm. Wir wollten über den Berchtesgadener Weg zur Südspitze emporsteigen. Dieser Weg gilt als einfachster Weg durch die Ostwand, gehen doch die Kletterschwierigkeiten nicht über den Grad 3/3+ hinaus – wenn man den richtigen Weg findet. Denn nicht nur die schiere Wandhöhe von gut 1800 m – die Watzmann Ostwand ist die höchste Wand in den Ostalpen – sondern auch die Orientierung in der Wand zählen zu den grössten Herausforderungen. Entsprechend umfangreich verlief unsere Vorbereitung. Beschreibungen wurden studiert, Fotos ausgewertet und so ziemlich jedes Video von der Ostwand betrachtet. Teilweise mehrmals. Jetzt musste nur noch das Wetter passen.

Doch es war wie im vergangenen Jahr – vier Wettervorhersagen brachten fünf unterschiedliche Wetterlagen und keine davon war optimal. Wir verschoben unser Urlaubsfenster um ein paar Tage, da wir uns Hoffnung auf ein Schönwetterfenster machten.

Schliesslich wollten wir es wagen und begaben uns auf den Weg in Richtung Königssee. Eine Eingehtour führte uns über den Manndlgrat auf den Hohen Göll. Die Beschreibung folgt in einem eigenen Bericht, da auch diese Tour eine längere Aktion war.

St. Bartholomä

Am frühen Sonntagnachmittag fuhren wir mit einem der Schiffe auf dem Königssee nach St. Bartholomä. Das Wetter war recht schön, entsprechend viele Leute unterwegs und einige davon auch mit Klettergeraffel am Rucksack, so dass wir uns schon auf ein volles Ostwandlager einstellten. Doch zunächst wollten wir den unteren Teil des Berchtesgadener Weges erkunden, stellten die Rucksäcke im Gasthaus ab und machten uns auf den Weg zur Eiskapelle. Bereits im ersten Teil des Weges in Richtung Schuttkar kann man sich an der einen oder anderen Stelle verhauen. Was wir auch prompt taten. Verrückt, wir wussten, dass man an einer Stelle scharf rechts abbiegen musste und haben uns doch von der einladenen Rinne verleiten lassen. Nun wussten wir also, was auf uns zukommen würde in punkto Wegfindung. Nach einer feuchten Platte war der Weiterweg relativ klar und die Uhr mahnte, den Rückweg anzutreten, wollten wir noch etwas zu essen im Gasthaus bekommen. Mit einem beeindruckendem Krachen meldet sich die Eiskapelle noch einmal und wies darauf hin, dass das Eis in Bewegung ist und sich jederzeit in der Höhle lösen kann.

Watzmann Ostwand und die Eiskapelle

Watzmann Ostwand und die Eiskapelle

Der Biergarten wurde zunehmend leerer und auch die anderen Kletterer zogen von dannen. Auf die Frage nach dem Ostwandlager erklärte uns ein freundlicher Kellner für verrückt, angesichts der Wetterlage in die Ostwand einsteigen zu wollen. Erst letzte Woche hätte man Bergsteiger aus der Wand ausgeflogen, die aufgrund von hüfttiefem Schnee nicht mehr weiter kamen. Dies und die Tatsache, dass wir die einzigen waren, die im Ostwandlager übernachten wollten, versetzten der Moral einen klitzekleinen Dämpfer. Doch die Wettervorhersage für den nächsten Tag war vielversprechend und wir wollten am Schuttkar noch einmal in uns gehen und die Optionen prüfen.

Dann kam jener Moment, auf den sich wohl jeder Bergsteiger freut, der die Option Ostwandlager gewählt hat. Das letzte Schiff fährt zurück nach Schönau und Stille legt sich über St. Bartholomä. Man wähnt sich plötzlich an einem ganz anderen Ort und geniesst es, noch einmal über die Wege zu schlendern.

Ruhe über St. Bartholomä

Ruhe über St. Bartholomä

Den Abend nutzen wir für ein letztes Routenstudium. In den Schlaf kommen wir wohl beide nicht so richtig, kreisen die Gedanken doch um den morgigen Tag.

Die Watzmann Ostwand

Und dieser Tag beginnt um 3:30 Uhr. Eine halbe Stunde später sind wir abmarschbereit und im Schein der Kopflampen beginnen wir unser Abenteuer Watzmann Ostwand.

Der breite Wanderweg durch den Wald ist einfach zu laufen. Sobald sich das Gelände weitet, muß man seinen Weg durch das Geröll suchen, was aber kein Problem darstellt, da die Richtung klar ist. Schliesslich steigen wir links der Eiskapelle in den Berchtesgadener Weg ein.

Die Stelle, an der man nach rechts aus der Rinne aussteigen muss, ist nach unserer Erkundung vom Vortag einfach zu erkennen. Bald kommen wir an die feuchte Platte und damit an den Punkt, an dem wir gestern wieder umgedreht sind. Mittlerweile kündigt sich der Tag an und erlaubt einen Blick zurück auf St. Bartholomä oder zumindest auf die Nebelschicht, die über dem Königssee liegt.

Bald kommen wir zum Schuttkar und legen die erste Rast ein. Die viel beschriebene Wasserstelle ist leicht zu finden. Mittlerweile zeigt sich der Watzmann von seiner besten Seite und wird von der Morgensonne in schönstes Gold getaucht. Der Himmel ist blau und kein Wölkchen ist zu sehen. Es gibt keinen Grund, nicht weiter zu gehen.

Am Schuttkar - Das Wetter ist perfekt!

Am Schuttkar – Das Wetter ist perfekt!

Der Weg bis zur nächsten Schlüsselstelle ist eigentlich recht klar. Vom Schuttkar nach rechts in die Felsen und über den ersten und zweiten Sporn zur Wasserfallplatte. Ohne Probleme meistern wir diesen Abschnitt und geniessen vom ersten Sporn die Aussicht hinunter ins Tal.

Kurz vor der Wasserfallplatte – man kann schon die markanten Bohrhaken sehen – läuft Wasser die Wand herunter. Wir trauen der Situation nicht ganz und holen bereits hier das Seil heraus und sichern. Zu meinem Erstaunen ist die Stelle aber durchaus griffig und nicht im geringsten rutschig. Zumindest nicht für die Schuhe.

Die Wasserfallplatte ist klettertechnisch gar nicht so schwierig. Und doch ist sie eine Schlüsselstelle der Tour, denn wenn man ins Rutschen kommt, gibt es nichts, was einen vor einem Absturz bewahrt. Wir nutzen die Sicherungen und steigen wechselseitig vor. Durch das Routenstudium im Vorfeld hat sich ein Hinweis fest im Hirn eingebrannt: „Nach der Wasserfallplatte nach rechts raus in eine Rinne! Nicht nach links weiter gehen!“ Der Einstieg in diese Rinne ist noch relativ einfach zu finden. Das Klettern macht Spass. Es geht teilweise durch enge kaminartige Passagen.

In der Rinne ist der Wegverlauf ziemlich klar. Sobald sich das Gelände wieder etwas aufweitet, müssen wir uns wieder orientieren. Wir sind nun in der Gipfelschlucht. Das heisst allerdings nicht, dass wir auch nur in der Nähe des Gipfels sind. Ein gutes Stück Kletterei liegt hier noch vor uns. Und es gibt vieles, was hier wie ein möglicher Weg aussieht. Vermeintlichen Spuren kann man hier nicht trauen, angesichts der vielen Versteiger.

In der Rinne nach der Wasserfallwand

In der Rinne nach der Wasserfallwand

Plötzlich hören wir Stimmen und zwei Jungs kommen im wahrsten Sinne vorbeigeprescht. Mit leichten Schuhen und schmalem Gepäck ziehen sie an uns vorbei und geben zumindest auf den nächsten Metern den weiteren Weg vor. Doch schon bald haben wir die beiden aus den Augen verloren und müssen unseren Weg alleine weiter finden.

Immer wieder schauen wir in die Beschreibung, vergleichen Bilder und suchen den Weg. Das kostet Zeit. Doch einen Verhauer wollen wir uns hier oben nun wirklich nicht leisten. Unterhalb der Biwakhöhlen soll es ein markantes Schneefeld und daneben eine Wasserstelle geben. Schneefelder gibt es hier einige, nur keine Wasserstelle.

Und wieder werden wir von einem Bergsteigerpärchen überholt. Vater und Sohn sind recht entspannt in der Ostwand unterwegs. Wie wir später erfahren, kennen sie die Ostwand in und auswendig. Wir versuchen dran zu bleiben, doch es bleibt bei dem Versuch. Zumindest haben wir uns vergewissert, an der richtigen Stelle zu sein und haben einen Hinweis erhalten, wo es weiter geht.

Bald darauf kommt die Biwakschachtel ins Blickfeld. Was für ein Anblick! Und man weiss, man hat den nächsten markanten Punkt erreicht. Mittlerweile machen sich Zweifel bei uns breit, dass für die eigentlich geplante Überschreitung im Anschluß die Zeit knapp wird. Zudem ziehen die ersten Wolken auf.

An der Biwackschachtel hinterlassen wir den obligatorischen Eintrag im Biwakbuch, loggen den Geocache und geniessen die Pause bei einem Energie-Riegel.

An der Biwakschachtel

An der Biwakschachtel

Nun sollte die letzte Etappe auf dem Weg zum Südspitze folgen und damit eine der Kernstellen des Berchtesgadener Weges. Ein Steilstück von ca. 8 Metern Höhe wird mit einer Kletterschwierigkeit von 3+ bewertet. Eine fixe Drahtschlinge entschärft die Stelle wohl.

Wir gehen von der Biwakschachtel nach rechts und finden zu unserer Überraschung Pfeile in die Schneereste gemalt. Danke noch einmal an dieser Stelle an das Vater-Sohn Gespann für die Hinweise!

Nach rechts hat man einen schönen Blick auf den Watzmanngrat und auf die Mittelspitze. Einige Bergsteiger sind auf dem Grat unterwegs, man kann sie deutlich sehen.

Nun müssten wir langsam zu den Ausstiegskaminen kommen. Der Höhenmesser zeigt noch ca. 70 Meter bis zum Gipfel. Wir halten Ausschau nach der oben erwähnten Drahtschlinge, können diese jedoch nirgendwo entdecken. Zudem kommen wir an eine Stelle, die dem Empfinden nach über der erwarteten 3+ liegt. Das gibt es doch nicht! Man kann den Gipfel förmlich schon riechen und jetzt so etwas. Wir befinden uns in einem großen Riss oder Kamin, in dem teilweise noch Schnee liegt. Was nun? Weiter nach oben erscheint sicherer, als wieder abzuklettern.

Dietmar greift beherzt zu und klettert um einen riesen Block herum. Ich würde mich ehrlich gesagt besser fühlen, wenn ich ein Seil hätte und bitte Dietmar darum, wenn möglich einen Stand zu bauen. Als Sicherungsmittel hatten wir nur Bandschlingen dabei und so muss ein verklemmter Block herhalten. Nunmehr gesichert steige ich zu Dietmar auf und an ihm vorbei, den Kamin entlang bis zu einem weiteren verklemmten Block. Hier baue ich nun einen Stand.

Dietmar kommt nach, klettert vorbei und ruft ein paar Meter weiter, er hätte einen alten Haken gefunden. Wir machen Witze, dass wir somit nicht den „Niederrhein Weg“ gefunden hätten, da offensichtlich schon jemand hier war. Der Haken wird als Zwischensicherung benutzt und Dietmar klettert aus dem Kamin heraus und baut wieder einen Stand. Als ich bei ihm ankomme, sehe ich, dass wir nun wohl Gehgelände vor uns haben.

Über loses Geröll arbeiten wir uns die verbleibenen Meter nach oben und sehen schliesslich links von uns das Gipfelkreuz.

Wir haben es geschafft!

Auf der Südspitze!

Auf der Südspitze!

Lange waren wir unterwegs. Circa 10 Stunden haben wir für die Ostwand gebraucht, was deutlich länger ist, als die 6 – 8 Stunden, die für diese Tour normalerweise angenommen werden. Viel Zeit haben wir für die Orientierung benötigt und die beiden Stellen, an denen wir zusätzlich gesichert haben, trugen sicherlich auch zum Zeitkonto bei. Auf der anderen Seite waren wir so immer Herr der Lage und sind aus eigener Kraft zur Südspitze gekommen. Wir zumindest sind stolz auf uns.

Mittlerweile steht die Entscheidung, dass wir ins Wimbachgries absteigen werden. Ein Abstieg, der letztes Jahr schon furchtbar war und in diesem Jahr nicht wirklich besser geworden ist. Durch einen glücklichen Zufall bekommen wir noch zwei Schlafplätze in der ausgebuchten Wimbachgrieshütte. Danke auch hier noch einmal an die Gruppe, die uns die Plätze überlassen hat.

Die Radlermaß in der Hütte war genauso göttlich, wie schon im vergangenen Jahr.

Am nächsten Morgen hängen die Wolken tief im Tal und es regnet. Wir haben alles richtig gemacht mit dem Wetterfenster und den besten Tag für die Ostwand erwischt.

Fazit

Was für eine Tour! Lang, anstrengend und angesichts der Unfallzahlen sicher nicht ganz ungefährlich.

Trotz aller Vorbereitung und Routenstudium – die Orientierung ist nicht einfach. Wirklich nicht!

Ausreichend Flüssigkeiten zum Trinken mitnehmen! Ich schaffe es selten, meine 3 Liter Trinkblase leer zu trinken, aber kurz nachdem wir den Abstieg begonnen haben, kam kein Tropfen mehr aus dem Schlauch.

Und ja, ich denke, dass trotz aller Planung und Optimierung zumindest mein Rucksack immer noch zu schwer war.

Ich könnte mir sogar vorstellen, den Weg noch einmal zu gehen.

Aber hey, was soll ich schreiben? Wir sind auf eigene Faust durch die Watzmann Ostwand gestiegen…

Das Video

Und hier ist das Video unserer Begehung.

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Video-Link: http://youtu.be/oYUSAeNogj0

Weiterführende Informationen

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