Bereits zum zweiten Mal zog es mich Ende Januar nach Rodgau in der Nähe von Frankfurt (Main), um am „Rodgau Ultra„, einem Lauf über 50 Kilometer teilzunehmen. Liest oder hört man etwas zu dieser Veranstaltung, scheint es im Grunde zwei Parteien zu geben – diejenigen, die dem nichts abgewinnen können („wie Zirkuspferde im Kreis laufen“) und die anderen, die einen Lauf in entspannter und vielleicht schon familiärer Atmosphäre geniessen wollen. Warum „Zirkuspferde“? Nun, die 50 km werden auf einer 5 km langen Strecke zurückgelegt, die man entsprechend zehn mal absolvieren muss.

Dies mag schlimmer klingen, als es in Wirklichkeit ist, bietet es doch die Möglichkeit, immer nach 5 Kilometern auszusteigen. So kann man sich ohne großes Risiko an die Ultradistanz heranwagen. Ich will nicht verhehlen, dass das auch der Grund war, mein Ultra-Debüt letztes Jahr in Rodgau zu feiern. Zudem kann man sich der mentalen Herausforderung stellen, sich trotz Erschöpfung und der Sehnsucht nach Sitzen, Dusche, Kaltgetränk immer wieder auf die nächsten 5 Kilometer zu begeben. Was man auch hervorragend üben kann, sind Techniken, um oben genannten Herausforderungen zu begegnen, wie das Visualisieren der nächsten (kleinen) Ziele oder das Zerhacken der langen Distanz in kleinere mundgerechte Häppchen.

Zurück zu diesem Jahr. Eigentlich wollte ich nur meine Zeit vom Vorjahr (4:53h) verbessern. So richtig hatte ich keinen Plan, wo die Reise hingehen sollte, Hauptsache, schneller, als im Vorjahr. Im Oktober 2018 habe ich mein Training in professionelle Hände gegeben und wusste dahingehend auch nicht so richtig, was denn da an Leistung schon abrufbar war. Entsprechend druckgemindert und doch erwartungsvoll sah ich dem Rennen entgegen.

Bis auf Arbeit die Einladung zu einer Konferenz nach Las Vegas für die Woche vor dem Lauf einschlug. (Und bevor ihr jetzt recherchiert – nein, ich war nicht auf der Waffen- noch auf der Betonmesse und schon gar nicht auf der Porno-Convention, die alle zeitgleich zu unserer Veranstaltung stattfanden.) Rückflug Donnerstag, Ankunft Freitag Mittag, Ultralauf Samstag Vormittag. Herzlichen Glückwunsch!

Las Vegas war dann ganz in Ordnung. Wir haben es auch geschafft, auf dem Strip zwei schöne Laufeinheiten hinzulegen. Doch bereits auf dem Rückflug in der engen Holzklasse mit kaputter Rückenlehne kamen wieder die Bedenken. Na ja, habe ich gedacht, versuche einfach durchzulaufen. Wenn es nicht geht, kannst Du ja abbrechen. In einer WhatsApp Gruppe habe ich zudem um Unterstützung gebeten für den Fall, dass jemand einen Läufer mit geschlossenen Augen falsch abbiegen sieht, möge er ihn bitte sanft in die richtige Richtung steuern.

Die beste Gemahlin der Welt hat mich am Freitag Mittag vom Flughafen in Frankfurt abgeholt und wir sind direkt zum Hotel nach Rödermark durchgefahren. Als großer Handballfan bestand sie allerdings darauf, dass das Karbloading vor dem Spiel um Platz 3 bei der Handball WM zu erfolgen hat. Dieses Spiel haben wir uns dann in der Hotelbar angeschaut, bei weiteren Kohlenhydraten (Weissbier) und Snacks. (Es gibt Wasabi Erdnüsse???)

Eigentlich könnte man meinen, ich hätte jetzt genügend Ausreden beisammen, um jedes mögliche Resultat beim Rennen zu rechtfertigen. Oder anderes ausgedrückt – wieder mal alles falsch gemacht, was geht.

Um 7:00 Uhr klingelt der Wecker. Trotz vermeintlichem Jetlag habe ich gut geschlafen, was wohl auch an den Hopfen-haltigen Getränken gelegen haben dürfte. Zum Frühstück gibt es Bircher Müsli, eine dicke Scheibe Brot und jede Menge Kaffee.

Letztes Jahr war ich wohl ein wenig aufgeregter und entsprechend früh vor Ort. Diesmal ist der Parkplatz am Tennisverein bereits voll und man winkt uns über die Brücke auf einen Ausweichplatz auf dem Stoppelfeld. Die Ausgabe der Startnummern geht ratzi-fatzi über die Bühne, obwohl mich die Schlange draussen erst einmal stutzen lässt. Wir drehen eine kurze Runde durch die angrenzende Turnhalle, wo es aber so voll ist, dass wir uns angesichts der Zeit auf den Weg in Richtung Start begeben.

Per WhatsApp sind wir lose mit anderen Läufern verabredet. Nach einigem hin und her steht Namensvetter René von run-the-trails.com vor uns. Es ist kurz vor zehn und wir gehen direkt zum Start. Mittlerweile beherrsche auch ich das Läuferstiefstapeln vor dem Start und erkläre, auch im Hinblick auf oben genannte Umstände, nur schneller als letztes Jahr sein zu wollen.

Und zack, das Rennen wird gestartet und wir sind auf der Strecke. Jetzt erst fällt mir ein, dass ich eigentlich gar keinen richtigen Plan habe. Für das Minimalziel wäre eine Pace von knapp unter sechs Minuten nötig. Das sollte doch zu schaffen sein. René erklärt mir seinen Plan, der auf einer Pace von 5:30 basiert. Auch gut!

Die ersten zwei Kilometer sind noch „Eingrooven“. Das Läuferfeld ist ziemlich eng beieinander und einige Abschnitte der Strecke leicht vereist. Ab Kilometer drei zieht die Pace an und die Betriebstemperatur steigt. Nach der ersten Runde werfe ich der Gemahlin die Handschuhe zu, nach der zweiten folgt die Laufjacke. So ganz sicher bin ich mir nicht, ob das eine so gute Idee ist, denn auf freiem Feld pfeift ein ordentlicher Wind. Die Temperaturen liegen kurz über dem Nullpunkt. Immerhin ist es soweit trocken.

Kurz nach dem Start befindet sich die Verpflegungsstation, an der man entsprechend alle 5 Kilometer vorbeikommt. Sehr nette Leute kümmern sich um Getränke und Snacks für die Läufer. Nach der ersten Runde bin ich noch ohne etwas zu nehmen vorbeigelaufen. Bei Kilometer 10 nahm ich das erste Gel und experimentierte mal wieder mit der Kombination Trinkbecher und Laufen. Es wurde mal wieder eindrucksvoll bewiesen, dass ich während des Laufens nicht aus offenen Bechern trinken kann. Ich habe mich fürchterlich verschluckt und es wundert mich immer noch, dass ich mich bei der Aktion nicht komplett mit Tee besudelt habe. Fortan hiess es also wieder kurze Gehpause zum Trinken und je nach Bedarf gab es eine Hand voll Salzstangen. Für den Rest des Rennens blieb ich beim Tee.

Zurück zum Rennen selbst. Die Pace ist für meine Verhältnisse für einen 50 Kilometer Lauf relativ hoch, denke ich und befürchte den Einbruch, der unweigerlich kommen würde. Auf der anderen Seite war das so in etwa die Geschwindigkeit, auf die im Training hingearbeitet wurde und ich war neugierig, inwieweit sich die Pace durchhalten liess. Im Nachhinein bin ich selbst erstaunt, wie gleichmässig ich die Runden durchgezogen habe. Das Aufteilen in kleinere Abschnitte hat mir definitiv geholfen. Start/Ziel – kleines Waldstück – spitze Rechtskurve – Verpflegungsstand – schnurgerade übers Feld – Rechtskurve – an der Hecke entlang – in den Wald – Musikzelt – Wendestrecke – freies Feld mit fiesem Seitenwind – Wald – Zaun – Anstieg – rechts ab in den Wald – Start/Ziel.

Beim Laufen fehlt mir der Sauerstoff im Hirn zum Rechnen. Erst auf den letzten Runden – als der befürchtete Einbruch immer noch nicht kam – habe ich gewagt, im Kopf zu überschlagen, was denn für eine Zielzeit möglich wäre. Und da war klar, heute geht was. Kurz nach der zwei Kilometer Markierung steht ein weiteres Schild mit einem „M“ und zeigt die Marathon Distanz an. In der vorletzten Runde konnte ich es kaum glauben – bei der „M“ Markierung hatte ich doch tatsächlich meine Marathon-Bestzeit geknackt! Das gab noch mal zusätzliche Motivation. Mit breitem Grinsen verkündete ich dies der Gemahlin im Zielbereich und begab mich auf die letzte Runde. Ein letztes Mal Verpflegungspunkt, die langen Geraden, der Wendepunkt, das Musikzelt und der Anstieg im Wald.

Und dann war da das Ziel. Mein Uhr zeigte 04:24:22 an. Eine halbe Stunde schneller, als im Vorjahr. Und die Marathon-Bestzeit inoffiziell auch um eine Minute verbessert. So richtig konnte ich es nicht fassen.

Im Zielbereich holte ich mir erst einmal etwas zu trinken. Die Gemahlin fragte noch, ob ich mich irgendwo setzen wollen würde, aber das war das letzte, was meine Beinmuskulatur jetzt wollte. Auf der Stelle stehen, war schon schwer und so war ich froh, dass wir nach einem zweiten Getränk den knappen Kilometer langsam zurück zur Turnhalle gehen konnten. Nachdem die Bewegung so langsam wieder runtergefahren wurde, konnte ich mich in der Turnhalle dann auch setzen, ohne Krämpfe befürchten zu müssen. Die heisse Suppe und das kalte Bier waren übrigens sehr lecker!

Bereits im letzten Jahr war mir schon aufgefallen, dass die Stimmung in der Ultraszene total entspannt ist. Auch am Tisch entspannen sich interessante Gespräche und Tipps für weitere Läufe machten die Runde. Zu guter Letzt unterhielten wir uns mit jemanden, mit dem ich seit einer ganzen Weile auf Strava verbunden bin, wir uns aber persönlich nie über den Weg gelaufen sind. Das habe ich aber erste realisiert, als er bereits wieder weg war.

Was soll ich sagen? Das Laufjahr 2019 hätte besser nicht beginnen können. Und ja, ich könnte mir gut vorstellen, im nächsten Jahr wieder Kreise in Rodgau zu laufen. Danke für die tolle Orga!