In diesem Jahr ist aus unserer spätsommerlichen Alpintour eine regelrechte Hochtourenwoche geworden. Angesichts der Ziele, die wir uns gesteckt hatten, lag unser Augenmerk auf einer anständigen Akklimatisierung. Sehr gut kann ich mich an die Probleme in der Höhe erinnern, die ich am Grand Paradiso bekam. Zudem lag das Objekt unserer Begierde nicht gerade in der Nähe eines Wanderparkplatzes, was den Zustieg etwas länger werden liess. Der gesamten Tour werde ich noch einen eigenen Beitrag widmen – in diesem hier soll es ausschliesslich um die Besteigung des Finsteraarhorn im Berner Oberland in der Schweiz gehen.

Das Finsteraarhorn (4274 m)

Das Finsteraarhorn (4274 m)

Das Finsteraarhorn ist mit seinen 4274 Metern der höchste Gipfel im Berner Oberland und ein sehr markanter dazu. Eingebettet in eine grandiose Gletscher-Landschaft stellt der Berg ein lohnendes Ziel für all jene dar, die sich nicht scheuen, tagelang mit Steigeisen an den Füßen durch die Gegend zu rennen.

Unsere Tour ist seit einem guten dreiviertel Jahr geplant und die Woche im Kalender geblockt. Einen gemeinsamen Termin zu finden ist halt nicht immer ganz einfach und die hohen Berge liegen bei keinem von uns gleich um die Ecke. Umso unfassbarer ist das Glück, das wir mit dem Wetter hatten. Die ganze Woche schon strahlte die Sonne von einem blauen Himmel und ermöglichte uns einen traumhaften Tag in dieser Gletscherwunderwelt nach dem anderen.

Am Tag vor der Besteigung sind wir von der Konkordiahütte zur Finsteraarhornhütte gelaufen. Der Wirt der Hütte empfahl uns, gleich den folgenden Tag für eine Besteigung zu nutzen, da der Wetterbericht eine leichte Verschlechterung ankündigte. Burkhard und ich haben am Nachmittag schon mal den Einstieg in den Weg hinter der Hütte gescoutet und später konnten wir einige Bergsteiger bei ihrem Abstieg beobachten. Dabei sahen die Taktiken auf dem unteren Gletscher durchaus unterschiedlich aus und dem einen oder anderen war deutliche Erschöpfung ins Gesicht geschrieben, als sie unten ankamen. Wir wussten also, dass die Besteigung kein einfaches Ding werden würde.

Am Standort der alten Hütte

Am Standort der alten Hütte

Gegen sechs Uhr am nächsten Morgen sind wir abmarschbereit. Vorher, beim Frühstück, erklärt Christiane, dass sie auf den Gipfel verzichtet. Sie ist sich unsicher und will uns nicht behindern. Das ist sehr schade, aber natürlich respektieren wir ihre Entscheidung. Zu dritt stapfen wir im Schein der Kopflampen los. Kurz vor uns ist ein Pärchen aus der Schweiz losgegangen und wir sehen ihre Lichtstrahlen vor uns auf dem Weg tanzen. Durch felsiges Gelände zieht sich der gut markierte Pfad bis zu dem Platz, wo die alte Hütte stand. Der Tag kündigt sich bereits an und ich entledige mich meiner Hardshell-Jacke, da es verhältnismässig warm ist.

Etwas später stehen wir am Einstieg auf den ersten Gletscher und treffen dort wieder auf die beiden Schweizer. Die Nacht weicht nun endgültig dem Tag und einige der umgebenden Gipfel sind bereits in Sonnenlicht getaucht. Schweren Herzens teilt Dietmar uns mit, dass er mit der Höhe Probleme hat und umdrehen wird. Man kann ihm den inneren Kampf klar ansehen, aber am Ende siegt die Vernunft und Dietmar steigt wieder zur Hütte ab. Burkhard und ich legen nun die Steigeisen an, seilen uns an und begeben uns kurz nach den Schweizern auf den Gletscher.

Das Gross Wannenhorn im Sonnenaufgang

Das Gross Wannenhorn im Sonnenaufgang

Am Vortag hatten wir uns bereits ganz grob einen Weg über den Gletscher ausgesucht, zumindest soweit, wie man das aus der Ferne beurteilen kann. Immerhin hat man die Spaltenfelder ganz gut ausmachen können. Auf dem Gletscher selbst ist keine Spur zu erkennen. Zu eisig ist seine Oberfläche. Der Plan sah vor, erst einmal ein wenig anzusteigen und dann nach links zu queren. So würden wir durch zwei Spaltengebiete hindurch kommen und links am Gletscherrand zu einem Felsriegel aufsteigen. Ich übernahm die Führung und wir kamen zügig voran. An den Spalten angekommen, mussten wir unseren Weg durch das Labyrinth suchen, was aber recht schnell gelang. Hier hatten wir auch die beiden Schweizer eingeholt und zogen an ihnen vorbei. In der Nähe des Gletscherrandes konnten wir dann relativ spaltenfrei, aber immer noch steil in Richtung Felsrücken weiter aufsteigen.

Der untere Gletscher oberhalb der Hütte

Der untere Gletscher oberhalb der Hütte

An jenem Felsrücken erreichen wir eine ziemlich ebene Schneefläche und nutzen diese für eine kleine Pause. Dabei lag der sogenannte Frühstücksplatz noch einige Meter weiter oben. Durch Geröll steigen wir danach weiter an, bis wir den Einstieg in den zweiten Gletscher erreichen. Auch hier erwarten uns beeindruckende Spalten. Auf dem steilen Firnfeld oberhalb dieser Spalten will man also partout nicht ins Rutschen kommen. Apropos Rutschen, bereits auf dem unteren Gletscher einigen Burkhard und ich uns darauf, im steilen Schneefeld nicht mehr als Seilschaft zu gehen, um einen Mitreißunfall zu vermeiden. Im steilen Gelände wäre jeder für sich selbst verantwortlich gewesen. Nun, da wir dieses steile Firnfeld vor Augen haben, stellt es sich als gar nicht mehr so große Herausforderung dar. Und so gehen wir als Seilschaft weiter.

Übergang zum zweiten Gletscher

Übergang zum zweiten Gletscher

Über das Firnfeld führt eine deutlich sichtbare Spur zuerst an den Spalten vorbei und dann einfach gerade hoch. Kurz unterhalb des Hugi-Sattels wird das Gelände dann noch einmal steiler. Wir halten uns links, wo die Spuren in gemächlichen Schwüngen aufwärts führen. Diese stetige Bergan-Latscherei ist nicht so mein Ding, ich merke, wie ich zu schnell bin und dadurch immer öfter kurze Pausen einlegen muss. Mehr als einmal muss Burkhard mich zum langsameren Tempo ermahnen.

Dann stehen wir am Hugi-Sattel. Von hier zieht sich der Nordwestgrat bis zum Gipfel. Es ist kurz vor 10:00 Uhr, das Wetter ist super und wir fühlen uns gut. Deutlich ist der Schnee im Fels zu erkennen, was eine ziemlich abwechslungsreiche Kraxelei verspricht. Wir legen eine Pause ein und besprechen unser weiteres Vorgehen. Mittlerweile haben auch die Schweizer wieder zu uns aufgeschlossen.

Am Hugi-Sattel - Das Ziel vor Augen

Am Hugi-Sattel – Das Ziel vor Augen

Da ein Abflug aus der Wand etwas länger dauern und mit Sicherheit nicht gut ausgehen würde, entschlossen wir uns, den Grat gesichert anzugehen. Als Sicherungsmittel hatten wir ein paar Klemmkeile und Friends sowie Bandschlingen dabei. Burkhard übernimmt alle Sicherungsmittel und wird die erste Seillänge vorsteigen. Am Pausenplatz baue ich einen Stand, nehme Burkhard in die Sicherung und er klettert los.

Schon bald sehe ich Burkhard nicht mehr, er ist hinter den Felsblöcken verschwunden und nur der stete Zug am Seil zeigt, dass er gut vorwärts kommt. Ich weiss jetzt gar nicht mehr genau, was zuerst eintrat, dass Burkhard die Sicherungsmittel ausgingen oder mir das Seil. Es dürfte so ziemlich zeitgleich passiert sein. Also baute Burkhard nun Stand und er sicherte mich im Nachstieg. Ich sammelte die Sicherungen ein und konnte so, als ich zu Burkhard aufgeschlossen hatte, direkt in den Vorstieg übergehen. Derart überschlagend kletterten wir mehrere Seillängen nach oben.

Auf dem Nordwestgrat mit Blick zurück zum Hugi-Sattel

Auf dem Nordwestgrat mit Blick zurück zum Hugi-Sattel

Wobei, Klettern sollte man hier nicht überinterpretieren. Die Kletterschwierigkeiten halten sich in Grenzen und in einem steten Wechsel aus Fels und Schnee arbeiteten wir uns in Richtung Gipfel. Doch dieser will sich lange nicht blicken lassen. Vom Hugi-Sattel aus sah er gar nicht mehr so weit weg aus. Aber das ständige Sichern kostet viel Zeit und so haben wir das Gipfelkreuz eben noch nicht erreicht.

Irgendwann rufen die Schweizer von weiter unten und fragen ob wir denn den Gipfel schon sehen könnten. Ich gebe die Frage an Burkhard weiter, der sich gerade wieder mal im Vorstieg befindet. Ein bis zwei Seillängen noch, meinte er von oben.

Schon kurze Zeit später, es war kurz nach 12:00 Uhr und ich war im Vorstieg, kam schliesslich das Gipfelkreuz in mein Blickfeld. Nur noch ein schmaler Grat und ich war da. Yeah! Schnell den Stand gebaut, Burkhard gesichert und als auch er am Gipfelkreuz ankam, lagen wir uns in den Armen und beglückwünschten uns.

Oben - 4274 Meter über Null. Mein persönlicher Höhenrekord

Oben – 4274 Meter über Null. Mein persönlicher Höhenrekord

Das Wetter war immer noch super und der Tag noch lang, also kein Grund zur Hektik. Zudem wollten wir den Schweizern in ihrem Aufstieg nicht in die Quere kommen und liessen uns Zeit. Fast eine dreiviertel Stunde lang genossen wir die fantastische Aussicht, machten Fotos und stärkten uns mit einer Kleinigkeit. Der Rundblick von dort oben war unfassbar schön. Eiger, Jungfrau, Mönch, alle lagen sie vor uns und zwischen den Bergen immer wieder Gletscher.

Fantastisches Panorama vom Gipfel

Fantastisches Panorama vom Gipfel

Für den Abstieg schlug Burkhard die Taktik des „fliegenden Seiles“ vor. Verbunden durch das Seil kletterten wir beide gleichzeitig, wobei das Seil so oft wie möglich über Felsköpfe und in Spalten gelegt wurde. Im Falle eines Sturzes hätte die Reibung locker ausgereicht, um den Sturz zu halten. Durch diese Technik kamen wir recht schnell den Grat wieder herunter und standen bald am Hugi-Sattel. Die beiden Schweizer waren kurz zuvor von dort zum Abstieg über den Gletscher aufgebrochen. Offensichtlich drehten sie kurz vor dem Gipfel um.

Riding on the Edge

Riding on the Edge

Auch für uns begann nun der Abstieg über das steile Firnfeld. Bei aller Euphorie über den Gipfelerfolg muss die Konzentration aber noch intakt bleiben. Ein Stolperer in diesem steilen Gelände hätte sicherlich eine lange Rutschpartie zur Folge. Und unten warteten ja noch die Gletscherspalten. Also tut man gut daran, die Vorfreude auf das grosse Radler in der Hütte noch zu zügeln und sich auf die Schritte zu konzentrieren.

Im Abstieg auf dem Grat

Im Abstieg auf dem Grat

Am Ende vom unteren Gletscher holten wir die Schweizer wieder ein, die uns erzählten, dass sie aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und einer etwas heikleren Kletter-Stelle lieber umgedreht sind. Vor solchen Entscheidungen kann man nur Respekt haben! Nun konnten wir die Steigeisen wieder abnehmen und über den felsigen Pfad ging es den letzten Abschnitt zur Hütte herunter, wo Christiane und Dietmar bereits mit einem frisch gezapften Radler auf uns warteten.

Wir hatten es geschafft! Und das sehr souverän, wie ich meine. Ein fantastischer Bergtag ging auf der Terrasse der Hütte zu Ende und wir berichteten von unseren Erlebnissen. Schade, dass Christiane und Dietmar nicht mit oben waren! Aber auf einen Gipfel zu verzichten und die eigene Situation objektiv einzuschätzen verlangt ebenso Respekt!

Burkhard & René

Burkhard & René

Mit dieser Besteigung hatte ich für mich mit 4274 Metern über Null noch einen neuen persönlichen Höhenrekord aufgestellt!