Ich finde Triathlon cool, will es aber nicht selbst machen. Die Idee, eine Strecke mit mehreren Sportarten zurückzulegen hat etwas. Ich finde nur Schwimmen doof, also auf Zeit und im großen Pulk aus strampelnden Armen und Beinen. Bin ja nicht umsonst Paddler geworden. Ausserdem habe ich nur ein Mountainbike und wollte mir kein Rennrad zulegen. Also begannen meine Gedanken zu kreisen, wie man etwas wie einen Triathlon durchführen konnte, nur halt mit Sportarten, die ich gerne betreibe – quasi auf Outdoor-Spirit-Art.

Anstelle von Schwimmen, Radfahren und Laufen, sollte es bei mir Trail, Kajak und MTB heissen. Das Equipment für all diese Sportarten hatte ich zu Hause. Was ich nicht hatte, war eine Location für das Unterfangen. Die Homezone fiel da schnell aus dem Raster. Zu flach, zu zahm. Aber da ist ja noch die erweiterte Homezone, zu der das bergische Land und natürlich auch die Eifel zählen. Und so reifte die Idee in meinem Kopf, bis sie schliesslich soweit war, um mit Gleichgesinnten geteilt zu werden. Hierbei handelte es sich um Jörg und Axel von der Outdoorseite.de, die die Eifel quasi direkt vor der Haustür haben. Von Axel kam dann auch der entscheidende Hinweis zu einem möglichen Erlebnisraum. Warum nicht der Rur-Ufer Radweg? Und plötzlich fügte sich alles zu einem Ganzen. Die Eifel, die Rur – in der Gegend haben wir seit vielen Jahren jede Mange Spaß gehabt und das auch schon mit Laufschuh, Kajak und dem Mountainbike. Mit 180 Kilometern Länge gab der Fluß Rur nun auch den Rahmen für die Aktion vor.

Die Rur-Challenge war geboren.

Von der Quelle in Belgien, über Deutschland und schliesslich nach Roermond in den Niederlanden zur Mündung in die Maas. 3 Länder, 3 Sportarten, 24 Stunden.

Es wurde Zeit, die Idee in die Tat umzusetzen und Mitstreiter zu finden. Du weisst, Du hast den richtigen Freundeskreis, wenn nahezu alle sofort Feuer und Flamme sind und ohne groß zu überlegen, zusagen. Per WhatsApp wurden Termine geprüft und schliesslich im Kalender fixiert. Was jetzt noch fehlte, waren die Details zur genauen Streckenführung, die ich unter anderem bezüglich der Paddelstrecke von den Wildwassererfahrungen der Mitstreiter abhängig machen wollte. Es galt, die 180 Kilometer auf die drei Disziplinen aufzuteilen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Fluß an der Quelle selten paddelbar ist. Dagegen ist die Rur oberhalb des Rur-Stausees, paddeltechnisch interessant, darunter eher langweilig. Damit war die Reihenfolge der Sportarten eigentlich gegeben. Wir würden mit dem Laufen beginnen, dann in die Kajaks steigen und die letzten Kilometer auf dem Fahrrad abreiten. Mein Lieblingsabschnitt auf der Rur ist die sogenannte hohe Rur – ein Flussabschnitt, der bei entsprechendem Wasserstand wildwassertechnisch nicht ohne ist. Allerdings kann man sich auf den Wasserstand nicht verlassen und die hohe Rur ist für Leute, die noch nicht so oft im Boot gesessen haben, nicht der optimale Einstieg. Dann war alles ganz einfach. Wir würden von der Quelle bis kurz hinter Monschau circa 25 Kilometer laufen, dann die obere Rur – den leichteren, etwa 10 Kilometer langen Abschnitt – paddeln und schliesslich die restlichen 130 Kilometer mit dem Mountainbike fahren.

Es gibt diverse Tracks zum Rur-Ufer-Radweg. Die Wegführung für die Radler war mir allerdings nicht trailig genug, so dass ich die komplette Strecke in Garmin Basecamp noch einmal neu geplant habe. Spannend war auch die Planung, wer wo wann mit welchem Auto und mit welchem Equipment stehen würde. Doch mit einer Skizze und vielen Pfeilen ergab sich auch hier schnell ein stimmiges Bild.

Nun gab es kein zurück mehr. Wir hatten eine Strecke, einen Termin und auch eine Handvoll Mitstreiter, die versuchen wollten, ob sich das Projekt in die Tat umsetzen liess.

Freitag Abend.

Wir beziehen das provisorische Basislager in der Jugendherberge auf der Burg Monschau. Da wir am nächsten Morgen früh raus wollen, müssen noch die Brote für das Frühstück geschmiert werden. Wir bekommen einen Tipp für ein gutes Restaurant in der Nähe und leiten Robert und Dietmar, die noch auf dem Weg sind und sowieso dort vorbei müssten, direkt zur Olive in Imgenbroich. Nach dem leckeren Essen verteilen wir noch die Ausrüstung von Roberts Wagen und bringen diesen zum Endpunkt der Kajakstrecke, wo er über Nacht stehen bleibt.

Es geht los. Die Laufstrecke.

Um 6:00 Uhr klingelt der Wecker. Ich kann mir trotz der unchristlichen Zeit ein Grinsen nicht verkneifen und finde die Vorstellung total cool, dass alle im Raum jetzt hier sind, weil ich vor einiger Zeit eine eigentlich ziemlich bekloppte Idee hatte. Einer von uns ist bereits zwei Stunden vorher aufgestanden. Burkhard will die Laufstrecke wandern und hat sich ein Taxi bestellt, um zum Startpunkt gebracht zu werden.

Die am Vorabend geschmierten Brote rutschen nicht so wirklich, vor allem ohne Kaffee. Wir schlüpfen in die Laufsachen und fahren kurze Zeit später zum Startpunkt. Dieser befindet sich am höchsten Punkt Belgiens beim Signal de Botrange. Hier entspringt die Rur im hohen Venn, einem Hochmoor. Direkt in die Hochebene hinein kommt man nur mit einem Guide, aber auch vom Weg hat man eine guten Überblick.

Kurz vor dem Start

Kurz vor dem Start

Während wir noch überlegen, ob wir die Stirnlampen aufsetzen sollen, weicht die Nacht immer mehr dem Tag und schliesslich brauchen wir die Lampen nicht mehr. Es kann los gehen – mögen die Spiele beginnen! Die Uhr zeigt 7:40 Uhr.

Zunächst führt der Weg auf breiten Forststrassen am Hochmoor vorbei. Allerdings ist der Weg teilweise so matschig, dass man denken könnte, wir würden mitten durch das Quellgebiet laufen. An einer kleinen Holzbrücke zeigt sich dann die junge Rur. Sie ist hier gerade einmal einen Meter breit. Bald schon laufen wir im Wald, mal auf Forststrassen, mal auf Asphalt, aber immer erstaunlich geradlinig. Das Wegenetz ist hier wohl am Reissbrett entworfen worden. Auf der ersten Hälfte der Laufstrecke sehen wir auch die Rur selten, auch hören kann man sie nicht. Das wird sich später dann aber deutlich ändern.

Irgendwann führt uns die Route auf die Trasse der Vennbahn. Hier kann man mit der Draisine auf den Gleisen fahren oder sich auf einem schmalen Asphaltband mit dem Rad oder Inlineskates fortbewegen. Um die Uhrzeit ist hier allerdings noch überhaupt nichts los. Bald kommen wir an Kalterherberg vorbei, der Endhaltestelle für Draisinen. Mittlerweile hören wir auch die Rur rauschen, sie hat deutlich an Wasser gewonnen und macht sich bemerkbar.

Am ehemaligen Kloster Reichenstein betreten wir – zumindest für die Paddler unter uns – wieder vertrautes Gelände. Nur die Perspektive ist neu. Normalerweise ist an dem großen Parkplatz an der Strassenbrücke der Einstieg zur Befahrung der hohen Rur mit dem Kajak. Vom Weg auf den, zum Paddeln zu wenig Wasser führenden, Fluß zu schauen ist eine neue Erfahrung für uns. Trotzdem erkennen wir viele Stellen, die bei entsprechendem Wasserstand viel Spaß bereiten.

Am Schrägwehr „Knochenbrecher“ kurz vor Monschau knacken wir den ersten Rekord des Tages. Oder besser gesagt, Robert knackt ihn, denn ab hier läuft er weiter als er jemals zuvor gelaufen ist. Schade nur, dass der Rekord auf dem kurzen Stück an der Strasse fällt, nach dem wir etliche Kilometer durch den Wald gelaufen sind und kurz bevor es auf schicke Trails geht. Apropos Trails. Bei der Planung habe ich mit Absicht nicht den direkten Weg durch Monschau gewählt, denn das war mir zu urban. Stattdessen sollte es auf die rechte Seite der Rur und im Wald an Monschau vorbei gehen. Das brachte auf der einen Seite jene schicken Trails, aber auch noch den einen oder anderen Höhenmeter mit sich. Irgendwann gab es die ersten zaghaften Beschwerden bei der Reiseleitung ob der Steigungen, aber da hatte wohl jemand das Kleingedruckte nicht sorgfältig gelesen.

Ein Stückchen folgen wir dem Eifelsteig und nach einem weiteren Anstieg erreichen wir einen spontan eingerichteten Verpflegungspunkt, an dem Doreen auf uns wartet. Sie wollte schon immer mal Läufern Wasser und Bananen reichen. Der Stop ist mehr als willkommen und wir lassen uns Obst und Wasser schmecken. Bald lassen wir Monschau hinter uns und auf den letzten Kilometern bietet die Route noch einmal Geläuf vom Feinsten bis hin zum Singletrail direkt an der Rur, bei dem ich an einer Stelle aufpassen muss, nicht in den Bach zu fliegen.

Schicke Trails an der Rur

Schicke Trails an der Rur

Über Stock und Stein erreichen wir schliesslich den Parkplatz Grünental wo jeder einzelne von uns mit einer Laola-Welle begrüsst wird. Wir haben die Laufstrecke hinter uns gebracht.

Auf dem Parkplatz gibt es endlich auch den ersehnten Kaffee! Die Mädels haben ein zweites Frühstück vorbereitet, mit frischen Brötchen und Aufschnitt. Das ist mal ein Verpflegungspunkt! Das Wetter, die Stimmung auch und ein Blick in den Bach zeigt, dass auch der Wasserstand gegenüber dem vergangenen Wochenende noch gestiegen ist. Das ist sehr gut, denn bei weniger Wasser wäre die Befahrung eine ziemlich steinige Angelegenheit geworden.

Nach der Laufstrecke

Nach der Laufstrecke

Die Kajakstrecke

Aufs Wasser gehen wir schliesslich zu sechst. Zu den vier Läufern gesellen sich jetzt auch der Wanderer und mein Jüngster. Die Kajakstrecke beginnt recht spritzig. Die paar Zentimeter mehr Wasser gegenüber der Testfahrt eine Woche zuvor machen sich bemerkbar. Trotz allem handelt es sich bei diesem Abschnitt, auch obere Rur genannt, um den eher leichten Teil der Rur. Ich weiss noch, wie ich vor vielen Jahren in diesen Abschnitt eingestiegen bin und ehrfurchtsvoll auf jene Paddler geblickt habe, die von der hohen Rur kamen. Doch ich schweife ab…

Rein wildwassertechnisch gilt die Rur an dieser Stelle als Wildwasser der Stufe 3, was bedeutet, dass der Bach eine gewisse Strömung aufweist und das eine oder andere Hindernis umfahren werden muss. Und diese Hindernisse gibt es reichlich in Form von Steinen und im Bach liegenden Bäumen. Zwei oder drei Stellen gibt es, wo man ein wenig kräftiger am Paddel ziehen sollte, da die Strömung an diesen Stellen direkt in umgestürzte Bäume zieht. Aber die Herausforderung meistern alle super, auch jene, die noch nicht so oft in einem Wildwasserboot gesessen haben.

Alle Rur Challenger aus einem Bild

Alle Rur Challenger aus einem Bild Dietmar, Robert, Mika, Christian, Burkhard, Rene (v.l.)

Als tückisch erweisen sich die tief hängenden Äste der Bäume, unter denen wir uns entlangschlängeln, um die optimale Linie zu erwischen. An einem dieser Äste bleibt eine GoPro hängen, wird vom Helm gerissen und verschwindet im Fluß. Wir versuchen noch, die Kamera zu bergen, doch gerade an dieser Stelle ist die Strömung recht stark und das Wasser etwas tiefer. Wir finden sie nicht mehr.

An einer Stelle liegt ein Baum quer über die Rur, der so gewachsen war, dass an einer Stelle eine Art Bogen entstanden ist. Für einen Moment fallen einige von uns wieder in alte Verhaltensmuster aus alten Paddeltagen zurück, die vom Leitsatz geprägt waren: „Ein Paddler läuft nicht!“. Soll heissen, wenn es eine Möglichkeit gibt, dass Hindernis zu überwinden, ohne das Boot zu verlassen, sollte diese genutzt werden. Also an den Baum heran fahren, Boot ausrichten, den Rücken flach auf das Heck drücken und unter dem Baum durchschieben. Dabei am besten aufpassen, dass man mit der Nase nicht am Baum anschlägt. Die Gefahr besteht bei so einer Aktion darin, dass, wenn man die Durchfahrt nicht optimal trifft, quer vor dem Baum in den Ästen hängen kann. Bei entsprechender Strömung kann es da leicht brenzlich werden.

Kurze Zeit später erreichen wir den Ausstieg. Doch was ist das? Gar kein Empfangskomitee auf der Brücke? Als wir schliesslich mit den Booten auf dem Buckel am Parkplatz ankommen, werden wir empfangen – mit erstaunten Blicken. „Nanu, Ihr seid schon hier?“

Auf der Rur

Auf der Rur

Beim Wechsel vom Kajak auf das Fahrrad wollten wir uns eine längere Pause gönnen, die Beine vor der Monster-Fahrrad-Etappe noch einmal ausruhen lassen und die Energiespeicher noch einmal anständig auffüllen. Zum Glück steht auf dem Platz ein ziemlich großer Shelter, denn noch während wir uns aus den nassen Paddelklamotten schälen, fängt es leicht an zu regnen. Unter jenem Shelter haben wir auch genügend Platz für den großartigen Verpflegungspunkt, den die Mädels hier gebaut haben. Nudeln mit verschiedenen Soßen stehen auf den Gaskochern und der Strom von heissem Tee scheint nicht zu versiegen. Zum Nachtisch verputzen wir leckeren Kuchen und jede Menge Gummibärchen.

Der letzte (und härteste) Abschnitt – mit dem MTB nach Roermond

Auf die Radstrecke begeben wir uns zu viert. Robert hatte von Anfang an angekündigt, dass er bei der Radstrecke nicht dabei ist – sein Rad wurde vor einiger Zeit geklaut. Vor diesem Abschnitt der Rur-Challenge hatte ich am meisten Schiss. Noch nie in meinem Leben bin ich so weit mit dem Fahrrad gefahren. Tröstlich war, dass das Höhenprofil, zumindest nachdem wir die Eifel verlassen haben, keine signifikanten Steigungen aufwies.

Als wir uns in die Sättel schwingen, regnete es noch leicht, doch dieser Niederschlag hörte schon recht bald auf. Kurz hinter Dedenborn lauert hinter einer Kurve ein klitzekleiner Anstieg, an dem ich mich verschalte und von Rad steigen muss. Zumindest bin ich rechtzeitig aus den Klickpedalen gekommen. Na das kann ja heiter werden! Die ersten Kilometer fahren wir auf Asphalt und bezwingen den einen oder anderen Höhenmeter. Bald dampft es unter der Kutte und die Jacken verschwinden in den Rucksäcken.

Kurz bevor wir den Rur-Stausee erreichen, wechseln wir von Asphalt auf Schotter. Nachdem wir nun vermeintlich die letzen Anstiege hinter uns gebracht haben, lassen wir die Räder einfach laufen. Das hat den Nachteil, dass wir nicht nur einmal ein paar Meter wieder zurück fahren müssen, weil wir an den Abzweigungen vorbei geschossen sind.

Verpflegungspunkt von der weltbesten Support-Crew

Verpflegungspunkt von der weltbesten Support-Crew

Ein Wort zur Navigation – die meisten hatten den Track zumindest auf einem GPS-Handheld, einige zudem noch auf der Uhr. Solange wir Tageslicht hatten, war die Navigation über die Uhr ein Kinderspiel. Ein Blick auf die Garmin Fenix 5x mit der Kartendarstellung zeigte recht schnell, ob wir uns noch auf dem rechtem Weg befanden. Mein GPS Handheld am Lenker hatte ich auf Stromsparmodus gestellt, so dass sich das Display nach einer kurzen Zeit abschaltete. Zwar konnte man die Anzeige mit einem Druck auf die Tasten wieder aktivieren, doch mit den später klatschnassen Handschuhen und der entsprechenden Erschöpfung habe ich meist mehrere Tasten gedrückt und damit nicht nur die Beleuchtung eingeschaltet, sondern auch die Anzeige gewechselt. Das führte dann zu weiteren Tastenklicks. Das Licht an der Uhr wollte ich nicht benutzen, um den Akku zu schonen. Apropos Akku. Die Garmin Fenix habe ich in den Pausen, bei den wir die Autos dabei hatten, immer mal wieder aufgeladen.

Kurz vor dem Stausee Obermaubach kommt wieder so eine Situation. Eigentlich sind wir gut unterwegs, als der Weg geradeaus durch ein Schild „Privatweg“ eingeschränkt wird und wir im Flow dem vermeintlichen Hauptweg folgen. Bis von hinten der Ruf erschallt, wir wären schon wieder verkehrt. Wir beratschlagen kurz und konsultieren die Topo-Karten. Der Weg unten schien gesperrt und wir waren den Berg schon ein gutes Stück hinauf gefahren. Die Karte verriet, dass wir auf diesem auch wieder auf den eigentlichen Track gelangen würden. Davor hatte die Geologie allerdings noch knackige Höhenmeter gesetzt, die mich schliesslich aus dem Sattel zwangen. Bei aller Schinderei und Flucherei – der anschliessende Downhill nach Obermaubach hat für die Plackerei entschädigt. Einfach mal zwei Kilometer die Kiste laufen lassen und in den Kurven hoffen, dass man auf dem Laub nicht den Grip verliert, machen schon Spaß!

Nun hatten wir endgültig die Anstiege hinter uns gebracht und freuten uns auf die nächste Pause bei Düren, wo die Mädels auf uns warten wollten. Einen genauen Treffpunkt hatten wir nicht ausgemacht, hofften aber, dass wir uns schon irgendwie begegnen würden. Der Weg bis nach Düren verlief immer schön an der Rur entlang, die gemächlich dahin floss, nur unterbrochen durch gelegentliche Stromschnellen oder Wehren.

Bereit zur letzten Etappe

Bereit zur letzten Etappe

Kurz vor Düren legten wir eine Biopause ein und besprachen kurz das allgemeine Befinden. Alle waren noch den Umständen entsprechend fit, nichts tat wirklich weh, keiner war verletzt und auch die Technik spielte mit. Wir waren uns alle einig, dass es keinen objektiven Grund gab, die Aktion abzubrechen.

Umso erstaunlicher war, dass sich die ganze Stimmung komplett änderte, als wir uns schliesslich doch mit dem besten Support-Team der Welt trafen. Die Mädels hatten sich ebenfalls Gedanken gemacht und angesichts der Zeit, die wir bis hierher benötigt hatten, auf die voraussichtliche Ankunftszeit am Ziel geschlossen. Und ja, die hätte bei linearer Extrapolation irgendwo bei vier Uhr morgens gelegen. Unsere Einwände, dass wir von nicht geplanten Anstiegen aufgehalten wurden und es von nun an deutlich schneller gehen würde, wurde als offensichtliche Ausrede angesehen. Und plötzlich schienen sich Zweifel einzuschleichen. Da war davon die Rede, dass es ja eigentlich egal sein würde, ob man die restliche Radstrecke zu einem anderen Zeitpunkt fortführen könnte. Ich gebe zu, mit dieser veränderten Situation hatte ich ein Problem. Die Idee war, die Aktion an einem Stück durchzuziehen. Jetzt aufzuhören hätte bedeutet, die Sache abzubrechen, ohne, dass dafür ein triftiger Grund bestanden hätte, wie ein technischer Defekt, eine Verletzung oder Erschöpfung. Das wäre, wie den Sex zu unterbrechen, weil der Tatort beginnt und den Orgasmus am nächsten Tag nachzuholen.

Zum Glück einigten wir uns auf einen Kompromiss – wir würden bis in den nächsten größeren Ort Jülich weiter fahren, der ca. 20 weitere Kilometer entfernt lag und wollten dort entscheiden, wie es weiter geht. Ein wenig Optimismus machte sich bei mir breit, denn auf diesen 20 Kilometern konnten wir zeigen, dass an unserer Theorie, dass jetzt alles schneller gehen würde, etwas dran war. Also gaben wir Gas und fuhren ohne Pause die Strecke durch. Mittlerweile war es dunkel geworden.

In Jülich trafen wir uns schliesslich an einer Tankstelle mit den Mädels. Nun nahm die Gruppendynamik ihren Lauf. Im Grunde waren wir die letzten 20 Kilometer recht gut voran gekommen. Die GPS Geräte prognostizierten eine voraussichtliche Ankunftszeit am Ziel von 0:35 Uhr. Burkhard hatte bereits auf der Strecke angekündigt, die Tour in Jülich zu beenden. Christian, Dietmar und ich haderten noch mit der Entscheidung. Wir hatten noch mehr als 60 Kilometer vor uns und noch immer keinen zwingenden Grund, die Segel zu streichen. Der einzige Grund wäre gewesen, wenn die Mädels, die immerhin schon den ganzen Tag für unser Wohl gesorgt haben, angedeutet hätten, dass die Fahrerei nach einem langen Tag und nun bei Dunkelheit für sie zu risikoreich gewesen wäre.

Die Diskussion ging hin und her, abbrechen oder durchziehen. Zuerst meldete sich, glaube ich, Dietmar und meinte, er wäre raus, da die restliche Strecke jetzt wohl nur noch Fahrerei um der Kilometer willen gewesen sei. Bei der Dunkelheit würde man den Namenspatron der Tour wohl auch nur selten zu Gesicht bekommen. Danach strich Christian die Segel. Doreen und er hätten auch noch eine lange Heimfahrt vor sich. Nun hatte ich ein Problem. Alle waren ausgestiegen und ich wollte immer noch nicht einsehen, warum hier Schluss sein sollte. Es war von Anfang an klar, dass das kein Kindergeburtstag werden würde, aber aufgeben, nur weil es eventuell spät werden könnte? Nicht mit mir! Auch auf die Gefahr hin, als Dickkopf und leichtsinnig zu gelten, erwähnte ich, dass ich die Tour zur Not auch alleine durchziehen würde. Die Reaktion der anderen könnt ihr euch sicherlich vorstellen.

Die endgültige Reaktion von Dietmar war, dass er seinen Entschluss wieder kippte und meinte, er würde mich nicht alleine durch die Nacht fahren lassen. Tausend Dank dafür Dietmar! Ich muss dazu sagen, dass ich den Eindruck hatte, dass sich nach dem letzten Abschnitt die Einschätzung der Gemahlin zum Rest der Tour in positiver Weise geändert hatte. Auch sie sah es jetzt als realistisch an, um kurz nach Mitternacht in Roermond zu sein. Ohne diese Signale hätte ich die Tour auch hier abgebrochen. Wir hatten also eine Entscheidung – zu zweit würden wir die letzten gut 60 Kilometer angehen. Die Ansage der Gemahlin war allerdings auch deutlich – wir würden uns erst in Roermond wieder sehen.

Also fuhren wir wieder in die Nacht, jetzt nur noch zu zweit. Ich war ein wenig zwiegespalten – auf der einen Seite freute ich mich, dass wir wieder auf der Strecke waren, andererseits hatte ich das Gefühl, wieder einmal meinen Dickkopf durchgesetzt zu haben und andere zu etwas gedrängt zu haben, mit dem sie eigentlich schon abgeschlossen hatten. Zumindest Dietmar erklärte, ich solle mir nicht so viele Gedanken machen, ich hätte ihn schliesslich nicht unter Androhung von Gewalt gezwungen.

Zu allem Überfluss fing es nun doch wieder an, zu regnen. Da war es nun also – das angekündigte Schietwetter. Während Dietmar von oben bis unten in Regenzeugs gewandet war, hatte ich zwar eine Regenjacke an, trug an den Beinen aber nur Beinlinge von X-Bionic. Nach einiger Zeit waren diese natürlich komplett nass und ich hatte das Gefühl, dass auch in den Schuhen das Wasser stehen würde. Zumindest fror ich nicht, die Maschine lief auf vollen Touren und entsprechend erhitzt waren wir unterwegs. Irgendwann ist dann auch egal, dass man durch die Pfützen fährt und jedes Mal einen neuen Schwall kaltes Wasser an die Beine bekommt.

An einer Tankstelle halten wir kurz an und kaufen frische Batterien. Die Akkus meiner Lampe am Fahrrad machen langsam schlapp und ausserdem würde ich gerne die Anzeige des GPS Gerätes dauerhaft leuchten lassen. Das macht die Navigation bei diesen Bedingungen deutlich einfacher. Mir ist dieses ständige Rumklicken auf den Tasten des Gerätes lästig und ausserdem zu risikoreich. Bei der Uhr hoffe ich mittlerweile, dass sie bis zum Ende durchhält und vermeide, das Licht auf ihr zu aktivieren.

Der Regen lässt einfach nicht nach und auf den freien Flächen gesellt sich auch noch Wind hinzu. Wenn wir über die Feldwege fahren, klatschen uns zwischendurch die Regentropfen waagerecht ins Gesicht. Hier ist jede Richtungsänderung willkommen und Rückenwind wird als Wohltat empfunden. Dietmar legt ein gutes Tempo vor und ich bin eigentlich froh, einfach hinter ihm her fahren zu können. Denn ich habe ein Problem. Durch die Regentropfen auf der Brille sehe ich so gut wie nichts mehr und schaue während der Fahrt über die Brillengläser hinweg. Es ist quasi die Wahl zwischen Pest und Cholera, entweder eingeschränkte Sicht und ganz ohne Brille. Später erzählt Dietmar, dass es ihm ganz genauso geht.

Erstaunlicherweise machen die Beine ganz gut mit und scheinen noch genügend Energie aufzubringen. Allerdings treten nun die anderen erwarteten Wehwehchen zu Tage – der Hintern tut weh, der Rücken beschwert sich über die Haltung auf dem Rad und irgendwann bemerke ich, dass ich Schwierigkeiten habe, mit dem Daumen die Gangschaltung zu betätigen. Auf der anderen Seite zählt auf dem mittlerweile dauerhaft beleuchteten GPS Display der Zähler mit den restlichen Kilometern artig runter. Dietmar hatte recht – die Fahrt ist nicht mehr schön. Wir kämpfen gegen die Elemente, gegen die Erschöpfung und gegen die restliche Strecke. Zumindest erinnert das Rauschen der Rur manchmal noch an den Grund dieser ganzen Aktion.

Irgendwann sehen die Verkehrsschilder anders aus und die Strassennamen klingen anders. Wir sind in den Niederlanden. Von weitem meint man, die Lichtkuppel über Roermond in der Ferne sehen zu können. Doch bis dahin fahren wir noch durch ein paar kleine Ortschaften. Was bin ich froh, als das GPS eine einstellige Rest-Kilometer Anzeige hat. Hintern und Rücken haben eine neue Eskalationsstufe der Beschwerde erreicht. Zu allem Überfluss meldet sich circa drei Kilometer vor dem Ziel ein Hungerast. Ich muss sofort anhalten und etwas essen. Dietmar ist schon vorgefahren, aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Ich bleibe stehen und helfe mir eine Banane und ein Gel rein. Mittlerweile ist auch Dietmar wieder umgedreht, um zu schauen, wo ich stecke.

Und dann fahren wir nach Roermond rein. Hier ist noch erstaunlich viel los. Doch wir haben nur noch ein Ziel – die Mündung der Rur in die Maas. Auf einem nassen Holzweg komme ich noch kurz ins Rutschen und nicht mehr rechtzeitig aus den Klickpedalen. Zum Glück kann ich mich am Geländer festhalten. Das hätte noch gefehlt, sich unmittelbar vor dem Ziel noch auf die Schnauze zu legen. Meine Uhr hat inzwischen die Tätigkeit eingestellt.

Im Ziel - ko, klatschnass, aber happy

Im Ziel – ko, klatschnass, aber happy

Am vereinbarten Treffpunkt kann ich unser Auto nicht sehen. Haben wir uns verpasst? Wir fahren die Strasse ein Stück zurück. Ich zücke das Telefon, sehe einen verpassten Anruf von der Gemahlin. Dieser kurze Stopp sorgt dafür, dass ich schlagartig komplett auskühle. Wahrscheinlich trägt der Abfall der Anspannung seinen Teil dazu bei. Ich schlottere wie nichts gutes. Zum Glück taucht in diesem Moment das Auto neben uns auf. Antje hält quasi mitten auf der Strasse. Bei aller Kälte und Zitterei – Zeit für ein Finnischer-Foto sollte man sich nehmen. Danach geht alles aber doch recht schnell. Nur raus aus den nassen Klamotten. Ich zittere dermassen, dass Antje mir beim Ausziehen helfen muss. Anschliessend laden wir die Räder ins Auto und gönnen uns ein kaltes Finischer-Bier. Ich weiss, das klingt absurd, aber auf dieses Bier habe ich mich jetzt schon seit einigen Kilometern gefreut.

Wir haben es geschafft! Und es war – wie erwartet – nach hinten raus ein hartes Stück Arbeit! Und ja, ich bin froh, meinen Dickkopf durchgesetzt zu haben. Dietmar hat auch dieses Grinsen auf dem Gesicht, das sagt, dass man eine total bescheuerte Sache durchgezogen hat und eigentlich ganz stolz ist, aber nicht weiss, ob es noch einmal sein muss.

Vielen Dank an alle, die mitgemacht haben, Robert, Christian, Dietmar, Burkhard und Mika! Es war mir ein Vergnügen! Und mein ganz besonderer Dank geht an Doreen und Antje für den Support an dem Tag – das war Weltklasse! Schön, dass wir immer mal wieder mit den Jungs zum Spielen raus dürfen!